Was macht der Fisch in meinem Ohr
nicht zu dem kleinen Kreis westlicher Länder gehören, in denen schulischer Fremdsprachenunterricht und zweiseitige übersetzerische Beziehungen als Traditionen etabliert sind. Nur wenige englische, französische, spanische oder deutsche Autoren können Texte lesen, die auf Tamil, Tagalog, Farsi oder Wolof geschrieben sind, und noch weniger möchten ihre Zeit dem Übersetzen widmen. Autoren, die in den genannten oder den meisten anderen Sprachen der Welt schreiben, haben nur dann die Chance, international Gehör zu finden, wenn ihr Werk in eine der an Schulen unterrichteten oder durch Emigration und Reisen gelernten Weltsprachen gebracht wird. Oft geht die Sache auch ins Auge. L2-Übersetzungen aus dem modernen China und aus Albanien sind notorisch miserabel. Von den eher zur Kategorie albern gehörenden Übersetzungsfehlern in Gebrauchstexten und auf touristischen Wegweisern sind viele erkennbar Produkte von L2-Übersetzungen. Es ist jedoch zwecklos, die eiserne Regel der L1-Übersetzung für sämtliche interkulturellen Beziehungen weltweit durchsetzen zu wollen, ohne zugleich durchzusetzen, was ihre logische Konsequenz sein müsste: nämlich dass die Bildungssysteme aller 80 Verkehrssprachen der Welt erhebliche Ressourcen für die Ausbildung von 79 Gruppen kompetenter L1-Übersetzer in allen studentischen Kohorten aufwenden. Zu dieser einstweilen noch utopischen Lösung gibt es nur eine Alternative: Die Verwender der Zielsprachen werden toleranter und aufgeschlossener gegenüber den Varianten, die L2-Übersetzer ins Englische, Französische, Deutsche und so weiter einführen – sie schuften wahrlich schwer, um sich verständlich zu machen.
7. DIE BEDEUTUNG – GAR NICHT SO EINFACH
Ob von einem L1- oder einem L2-Sprecher angefertigt, eine adäquate Übersetzung gibt wieder, was die in einer anderen Sprache getätigte Äußerung bedeutet.
Das klingt recht unkompliziert. Und entspricht voll und ganz dem, was heutige Übersetzer als Erbringer einer Dienstleistung für sich in Anspruch nehmen. Trotzdem wissen wir damit noch nicht, was Übersetzen ist, weil Äußerungen nicht nur eine Bedeutung haben. Was wir sagen oder schreiben, bedeutet vieles gleichzeitig. Äußerungen haben alle möglichen verschiedenen »Bedeutungen«. Die Bedeutung von Bedeutung ist ein abschreckendes Thema, an dem man aber nicht vorbeikommt, wenn man übersetzen lernen will. Mag es philosophisch auch ein heißes Eisen sein – so ist es doch ein Problem, das eigentlich von jeder Übersetzung gelöst wird.
Bedeutung ist nicht auf die Bedeutung von Wörtern beschränkt, und warum das so ist, erzähle ich Ihnen mit einer einfachen Geschichte. Jim und Jane sind mit Freunden wandern. Sie entfernen sich von der Gruppe und geraten in einen dichten Wald. Jim hat vollkommen die Orientierung verloren. Dann steigt ihm Kaffeeduft in die Nase. Was bedeutet das? Es bedeutet, das Lager ist nicht weit entfernt. Für Jim ist das von wirklicher und wichtiger Bedeutung – es hat aber nichts mit Wörtern zu tun.
Die Bedeutung, die Dinge aus sich heraus haben, nennt man symptomatische Bedeutung. Gerüche, Geräusche, körperliche Empfindungen, das Vorhandensein dieses oder jenes natürlichen oder hergestellten Gegenstands – das alles hat symptomatische Bedeutungen. Im Alltag nehmen wir jederzeit Tausende solcher Hinweise auf, merken uns aber nur die, die unserer Welt die Bedeutungen verleihen, die wir benötigen. Ebenso hat alles Gesagte symptomatische Bedeutung, einfach deshalb, weil es gesagt worden ist. Wenn ich in einen Coffeeshop gehe und einen Espresso bestelle, was bedeutet das? Als Symptom bedeutet es, dass ich Englisch spreche, der Barista ebenfalls und so weiter. Das ist offensichtlich. Meist ist die symptomatische Bedeutung einer Äußerung so offensichtlich, dass sie nicht auffällt. Aber nicht immer.
Gesprengte Ketten , ein Film von John Sturges aus dem Jahr 1963, erzählt in enger Anlehnung an ein tatsächliches historisches Ereignis die Geschichte eines Massenausbruchs aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs. Luftwaffenmajor Richard Bartlett, der führende Kopf hinter dem Fluchtplan, spricht gut Französisch und Deutsch und tut sich mit MacDonald zusammen, der nur Englisch kann. Gemeinsam wollen sie sich nach dem Ausstieg aus dem Tunnel an die Kanalküste durchschlagen. Als französische Geschäftsleute getarnt stehen sie in der Schlange vor einem Bus, der sie weiterbringen soll. Es gibt eine
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