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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Sicherheitsüberprüfung. Bartlett mogelt sich sehr plausibel mit Französisch und Deutsch durch. Er ist schon fast im Bus drin, da wünscht der listige Polizist den beiden viel Glück – auf Englisch : »Good luck!« MacDonald, noch auf den Stufen am Einstieg, dreht sich instinktiv herum, lächelt und platzt mit einem »Thank you« heraus – und das ist das Ende der großartigen Flucht. Nicht die Bedeutung der Worte, die der Polizist gesprochen hat, und auch nicht MacDonalds Dankesworte sind den Flüchtigen zum Verhängnis geworden, sondern die symptomatische Bedeutung der verwendeten Sprache.
    Die symptomatische Bedeutung, die die Verwendung einer bestimmten Sprache hat, lässt sich in einer anderen Sprache nicht wiedergeben. Auf Finnisch etwa kann man nicht zeigen, wie verhängnisvoll es ist, wenn bei der Flucht aus einem deutschen Gefangenenlager versehentlich Englisch gesprochen wird. In der französischen Fassung des Films bleiben »good luck« und »thank you« auf Englisch – vom französischen Publikum wird erwartet, dass es die englischen Laute erkennt und versteht, was es bedeutet, wenn in Kriegszeiten in Deutschland Englisch gesprochen wird. In Fassungen für ein Publikum, das gesprochenes Englisch, Französisch und Deutsch vage als »Westeuropa« identifiziert, kann die volle Bedeutung dieser Filmsequenz weder dadurch gerettet werden, dass man die gesprochenen Sätze nicht übersetzt (wie in der französischen Fassung), noch dadurch, dass man sie übersetzt – mit jeder anderen anstelle von Englisch verwendeten Sprache würde der Sinn ja verfehlt. Hier muss ein zweiter Kommunikationskanal hinzugefügt werden, Untertitel oder Übertitel etwa, der eine metasprachliche Beschreibung der Äußerung liefert, etwa: »Der deutsche Polizist spricht Englisch«, oder: »Der Vertreter der Staatsgewalt redet den Flüchtling in seiner Muttersprache an, und dieser antwortet törichterweise ebenso.« Ginge das als Übersetzung durch? Es wird müssen, ist es doch ihr Sinn und Zweck, die Bedeutung eines fremdsprachigen Werks schnell zu erschließen, auch wenn es der einfachen, am Beginn dieses Kapitels gegebenen Definition nicht entspricht. Ein solcher Untertitel gibt nicht die Bedeutung der in der anderen Sprache gemachten Äußerung wieder. Er liefert nur eine Information, mit der man zwar das tatsächlich Gesagte nicht versteht, aber nachvollziehen kann, was das Sagen bedeutet.
    Verstehen heißt immer, den Zusammenhang herzustellen zwischen dem, was gesagt wurde (MacDonalds »Thank you«), und der Bedeutung dessen, dass es gesagt wurde. Das ist die Grundvoraussetzung für alle Akte der Kommunikation. Die Krux dabei ist, dass der Zusammenhang des jeweils Gesagten und der Bedeutung seines Gesagtwerdens nicht immer derselbe und oft unklar ist. Der englische Flüchtling wäre ja in jedem Fall aufgeflogen, egal wie seine Antwort auf das »Good luck!« des deutschen Polizisten ausgefallen wäre, sofern er auf Englisch geantwortet hätte. Er hätte statt »Thank you« beispielsweise »Get lost! (Lassen Sie mich in Frieden!)« oder »You’re a real gentleman (Sie sind ein wahrer Gentleman)« antworten können, und es hätte in dieser Filmsituation dasselbe bedeutet. Und beweisen ließe sich diese ungeheuerliche Behauptung, indem man zeigte, dass die Sätze auf Chinesisch dieselben Untertitel haben müssten.
    Kehren wir zu der Parabel über Jim und seine Partnerin Jane zurück, die sich im Wald verlaufen haben. Einer von beiden könnte, als er das Aroma von Kaffee riecht, der ganz in der Nähe gekocht wird, sagen: »Ah! Ich rieche Kaffee!«, oder auch: »Riechst du, was ich rieche?«, oder: »Riechst du auch Kaffee?« Das sind drei verschiedene Sätze mit, wie Linguisten es nennen würden, verschiedenen Satzbedeutungen, und doch bedeuten sie in der Situation dasselbe – nämlich, dass das Lager nicht weit ist, dass sie sich nicht verlaufen haben, dass sie sich freuen sollten et cetera. Für die Übersetzung spielen die Unterschiede zwischen den Satzbedeutungen keine große Rolle. Sie steht und fällt damit, ob sie den Gehalt der Äußerung bewahrt, und zu wissen, wie man das in einer anderen Sprache macht, ist die wichtigste Fähigkeit des Übersetzers. Ebenen der Förmlichkeit in Gesprächen und Bräuche und Regeln beim Umgang zwischen Männern und Frauen, die sich im Wald verirrt haben, variieren erheblich zwischen Sprachen und Kulturen. Die Aufgabe des Übersetzers besteht darin, für den Sinn dessen, was Jim in dieser

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