Was macht der Fisch in meinem Ohr
Ganz im Gegenteil macht erst die Praxis des Übersetzens ins Französische die Sprache zu einem Mittel in der internationalen Kommunikation der modernen Welt. Wegen seiner langen Geschichte des Übersetzens aus anderen Sprachen kann man auf Französisch heute die fantasievolle, unendlich beklemmende Literatur schaffen, in der Volodine zufolge das ihr absolut Fremde zum Ausdruck kommt.
Es wäre daher falsch, würde man die voranschreitende wechselseitige Durchdringung des Englischen, Französischen, Deutschen und Italienischen mitsamt Begriffen und Wendungen aus den antiken Ursprungssprachen Latein und Griechisch und (in Volodines Schriften) aus dem Russischen und Chinesischen lediglich für das Ergebnis dessen halten, was wir heute Globalisierung nennen. Es ist ja nicht nur das Englische, das im Zuge der Globalisierung in andere Sprachen und Kulturen eindringt; ihre Wirkungsweise ließe sich an der Ausbreitung von Sprache und Wortschatz der Pizza- und Pasta-Küche in Tante-Emma-Läden und Fastfood-Lokalen auf der ganzen Welt genauso gut zeigen. Sie ist auch die Folge anhaltender Bemühungen von Übersetzern, ihren Nationalsprachen zu Weltgeltung zu verhelfen – nur nicht unbedingt dadurch, dass sie ihren Übersetzungen einen authentischen fremden Klang beigaben. Aber falls das doch ihre Absicht war, hat der Erfolg das Bemühen ad absurdum geführt, gehören die importierten oder nachgeahmten Wörter doch inzwischen in solchem Umfang zur Empfängersprache, dass sie nicht mehr fremd wirken.
Nicht weniger als 40 Prozent aller Stichwörter in beliebigen englischen Großwörterbüchern beispielsweise sind Importe aus anderen Sprachen. Ein dem Englischen fremdes Element, sei es ein Wort, eine Redewendung oder eine grammatische Struktur, von einem Übersetzer, der den authentischen Klang des Originals bewahren will, in diese so fabelhaft geschmeidige Sprache gebracht, findet seinen Weg hier bereits vorgezeichnet. Entweder es wird als ungelenke, peinliche oder unvollständige Übersetzung abgetan oder es wird absorbiert, in neuen Kontexten verwendet, integriert und büßt seine Fremdheit ein.
Die heutigen Bemühungen um die Herstellung von englischen Übersetzungen, die etwas von der authentischen Fremdheit des Originals bewahren, sind aber nicht ohne Weiteres vergleichbar mit den Offensiven von Übersetzern vergangener Jahrhunderte, durch die das Deutsche sich dem Englischen, das Französische sich dem Italienischen und das Syrische sich dem Griechischen anglich. Heute kämpfen englische Verfremder nicht dafür, ihre Sprache zu einer Weltsprache zu machen, weil Englisch bereits die Weltsprache der Gegenwart ist. In gewissem Umfang wollen sie das Englische mit sprachlichen Mitteln anreichern, die sie aus ihm fernen Sprachquellen schöpfen. »In meinen Anfängen als Übersetzer hatte ich mir unter anderem vorgenommen, dem Englischen neuen Schwung zu geben«, sagte Richard Pevear in einem Interview im New Yorker . 11 Pevears Antrieb für sein schriftstellerisches Vorhaben ist der Wunsch, Leser an den Eindrücken teilhaben zu lassen, die er bei der Lektüre eines russischen Romans hat. Pevear hat wiederholt eingeräumt, dass er selbst nicht fließend Russisch spricht und auf die von seiner Partnerin angefertigten Rohfassungen angewiesen ist, die er dann in eine literarische Version umwandelt. 12 Ähnliches mag für andere Verfechter von seltsam und fremd klingenden Übersetzungen zutreffen. Das Vorhaben, Übersetzungen zu verfassen, die dem Original so wenig »ethnozentrische Gewalt« antun wie möglich, ist also mit dem Risiko behaftet, dass daraus etwas ganz anderes wird – eine Vorführung der kuriosen Sprechweisen von Ausländern nämlich.
Die natürliche Darstellung des Fremden fremdsprachlicher Äußerungen ist die, sie in der Originalsprache zu belassen – ganz oder teilweise. Zu diesem Mittel kann man in allen Sprachen greifen, und das ist in gewissem Umfang auch schon immer in allen getan worden. 13
Es ist nicht eben leicht, bei der Darstellung der Fremdartigkeit anderer Sprachen vollkommen ernst zu bleiben. Man muss schon den Esprit eines Chaplin oder Celentano haben, um es so zu können, dass dabei Komik entsteht und kein Ärgernis.
Doch zunächst einmal geben Übersetzungen die Bedeutung eines fremdsprachigen Texts wieder. Wie wir sehen werden, ist schon das schwierig genug.
6. BEHERRSCHUNG DER MUTTERSPRACHE: IST IHRE SPRACHE WIRKLICH IHRE?
Seit jeher – heute fast eine eiserne Regel – übersetzen
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