Was macht der Fisch in meinem Ohr
Übersetzer aus einer Fremdsprache in ihre Muttersprache. Im Fachjargon der Übersetzungswissenschaft nennt man das L1-Übersetzung, im Gegensatz zur L2-Übersetzung, bei der in eine erlernte oder andere Sprache übersetzt wird. Aber was genau ist eine Muttersprache?
Mit einer Mutter fängt es für jeden von uns an, und es versteht sich von selbst, dass wir in ihren Armen sprechen lernen. Sie sind also »hineingeboren« in die Sprache, in der Ihre Mutter mit Ihnen spricht, und nur das kann gemeint sein, wenn wir im Englischen anstelle von »Muttersprache« auch von »native language« sprechen.
Ein Axiom der Linguistik besagt, Muttersprachler zu sein heißt, eine Sprache vollkommen zu beherrschen; umgekehrt wird unter vollkommener Beherrschung einer Sprache üblicherweise genau die Kenntnis einer Sprache verstanden, über die ein Muttersprachler verfügt. Ungeachtet dessen, dass Sprecher ein und derselben Sprache diese auf unendlich vielfältige Weise verwenden und in den Bereichen von Sprachebene, Stil, Ausdrucksweise und so fort oft erhebliche Unterschiede im Wortschatz und in den Sprachgewohnheiten zum Tragen kommen, setzen wir voraus, dass nur (beispielsweise) englische Muttersprachler das Englische vollkommen beherrschen und dass nur jemand, der Englisch als Muttersprache spricht, in der Lage ist, zu beurteilen, ob ein anderer Sprecher die Sprache »muttersprachlich« verwendet.
Durch Beobachtung und sogar durch Selbstbeobachtung wissen wir freilich auch, dass Muttersprachler grammatische und lexikalische Fehler machen, und stellen fest, dass sie gelegentlich Wortfindungsschwierigkeiten haben. Nach dem heute üblichen Verständnis von Sprachgebrauch sind solche Schnitzer und Stolperer in der Rede eines Muttersprachlers ihrerseits Teil dessen, was muttersprachliches Beherrschen einer Sprache bedeutet. Fremdsprachenlehrer können ganz genau unterscheiden zwischen Fehlern, die beim Erlernen einer Sprache gemacht werden, und Fehlern, die typisch für den muttersprachlichen Gebrauch sind. Muttersprachler, welcher Sprache auch immer, erkennen bei bestimmten Äußerungen anderer wiederum, dass sie zwar nicht direkt falsch, aber eben nicht muttersprachlich klingen. Aber lassen wir diese an der Praxis orientierte Unterscheidung zwischen »muttersprachlich« und »nicht muttersprachlich« beiseite. Es erheben sich noch ganz andere und kompliziertere Fragen, wenn wir mit Begriffen wie »Muttersprache« oder »native language« die Art und Weise bezeichnen, in der wir mehr oder weniger in der Sprache zu Hause sind, die wir unser Eigen nennen.
Wir brauchen unsere Muttersprache nicht unbedingt von einer Mutter zu lernen. Wir können sie uns genauso gut von Geschwistern, einem Au-pair oder den Nachbarskindern aneignen. Entscheidend für eine normale menschliche Entwicklung ist, dass wir in früher Kindheit in unserer unmittelbaren Umgebung eine Sprache vorfinden, denn kein Kind erfindet eine Sprache aus sich heraus, ohne Input von außen. Wir erwerben unsere Sprache aus allen Quellen, die uns in früher Kindheit zugänglich sind. Bei manchen Kindern geht das schneller als bei anderen, manche erwerben einen größeren Wortschatz als andere, alle aber erlangen im Normalfall innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne, im Alter zwischen eins und drei, die Befähigung zur Kommunikation. Die in diesem frühen Entwicklungsstadium erworbene Sprache kann diejenige sein, in der wir uns später als Erwachsene am meisten zu Hause fühlen, muss es aber nicht. In großer Zahl sind Menschen weltweit keine sonderlich geschickten Verwender der Sprache, die sie in früher Kindheit gelernt haben. In vielen Fällen ersetzt die Schulbildung die Sprache der Kindheit durch eine andere, die im künftigen Erwachsenenleben zur Kommunikation gebraucht wird.
Vom Verschwinden des Lateinischen als gesprochene Sprache im 6. und 7. Jahrhundert u. Z. bis zur Ära von Descartes, Newton und Leibniz hat keine Mutter je Latein mit ihrem Kind gesprochen und wurde kein Kind je in eine Familie hineingeboren, in der man Latein sprach. Dennoch lernte über ein Jahrtausend lang die männliche Jugend der höheren Stände überall im christlichen Europa Latein. Über diesen langen Zeitraum hinweg war es die Sprache, der sich alle gebildeten Europäer für das Denken, den öffentlichen Verkehr und das Schreiben bedienten, und zwar auf so unterschiedlichen Feldern wie Diplomatie, Philosophie, Mathematik, Naturwissenschaften und Religion. Gelehrt wurde Latein durch
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