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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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einzufügen, wäre es bei fast allem, was wir sagen, unmöglich, ausgenommen die seltenen Male, wo wir über ein großes Gebiet spezieller materieller Dinge sprechen. Die Vielen, die den falschen Gemeinplatz von der Unmöglichkeit des Übersetzens im Munde führen, hätten es umgekehrt gewiss gern, dass alle Wörter so wären. Der Wunschglaube, Wörter seien (allen Beweisen des Gegenteils zum Trotz) eigentlich die Namen der Dinge, ist es, der die Aufgabe des Übersetzers unlösbar erscheinen lässt.
    Die Vorstellung, eine Sprache sei eine Liste von Namen für die Dinge, die es gibt, taucht in der Geistesgeschichte des Westens schon bei den Hebräern und Griechen auf und hat sich, vermittelt durch das Wirken vieler berühmter Gelehrter, bis zum Mann auf der Straße herumgesprochen. Leonard Bloomfield, ein Professor für Linguistik, der das Feld in den Vereinigten Staaten über 25 Jahre dominierte, packte das Problem der Bedeutung in dem von ihm verfassten Lehrbuch so an: Nehmen wir das Wort »Salz«. Was bedeutet es? Bloomfields Buch zufolge ist es der Name für Natriumchlorid, noch genauer – oder zumindest wissenschaftlicher – bezeichnet durch die Symbole NaCl. Bloomfield war offensichtlich aber klar, dass man nicht vieler Wörter einer Sprache mit einer so simplen Analyse Herr wird. Was Wörter wie »Liebe« oder »Angst« bedeuten, lässt sich auf die Weise nicht erschließen. Und so schlussfolgert er:
    Um eine wissenschaftlich präzise Definition der Bedeutung für jede einzelne Form einer Sprache zu geben, müssten wir über eine wissenschaftlich genaue Kenntnis von allem verfügen, was in der Welt des Sprechers existiert … [und da diese fehlt,] ist die Erfassung der Bedeutungen … der Schwachpunkt bei der Erforschung der Sprache. 3
    So ist es in der Tat – wenn man die Sache so anpackt.
    Ich finde es bis heute verblüffend, wie ein Mann mit Bloomfields ungeheurem Wissen und dieser Intelligenz jemals gedacht haben kann, »NaCl« oder »Natriumchlorid« sei die Bedeutung des Worts Salz. Was sie sind, ist doch glasklar: Übersetzungen von »Salz« in verschiedene Register der Sprache. Aber auch wenn wir die Bloomfield’sche Naivität bereinigt haben, sitzen wir noch in der Falle der Vorstellung, Wörter (in welches andere Register oder welche andere Sprache auch immer übersetzt) seien die Namen der Dinge.
    Warum so viele Menschen diesem Glauben anhängen, hat einen bekannten Grund: Die hebräische Bibel hat es ihnen gesagt:
    Und Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. (Genesis 2, 19)
    Dieser Vers hat die Vorstellungen von Sprache in den westlichen Kulturen nachhaltig geprägt. Er sagt, dass die Sprache, und zwar von Anfang an und im Prinzip bis heute, ein Wörterverzeichnis ist und dass Wörter die Namen der Dinge (noch genauer: die Namen belebter Dinge) sind. Er sagt zudem kurz und bündig, dass die Sprache nicht zu den Dingen gehört, die Gott schuf, sondern dass sie eine zufällige Erfindung der Menschheit ist, von Gott gebilligt.
    Der Nomenklaturismus – die Ansicht, Wörter seien dem Grunde nach Namen – hat also eine lange Geschichte; insgeheim bestimmt er noch immer weite Bereiche des Diskurses über das Wesen der Übersetzung zwischen Sprachen, in denen Wörter unterschiedliche Dinge »benennen« oder ein und dasselbe Ding auf unterschiedliche Weise benennen. Problematisch daran ist aber nicht das Übersetzen, sondern der Nomenklaturismus selbst, liefert er doch eine sehr unbefriedigende Erklärung dafür, wie eine Sprache funktioniert. Einen einfachen Begriff wie »Kopf« etwa kann man nicht als »Namen« eines bestimmten Dings betrachten. Er kommt in allen möglichen Ausdrücken vor. Er kann einen Menschen bezeichnen, den wir für klug – für einen klugen Kopf – halten oder der eine Gruppe anführt (der »Kopf« einer Bande), aber auch den Teil einer Schraube, der mit dem Antrieb für ihre Befestigung versehen ist, oder den Bahnhofstyp, dessen Gleise alle im Bahnhof enden (»Kopfbahnhof«), sodass vor der Wiederausfahrt eines Zugs »Kopf gemacht«, das heißt der Zug gewendet werden muss. Was verbindet diese grundverschiedenen Dinge? Woher wissen wir, welche Bedeutung »Kopf« im jeweiligen Zusammenhang hat? Was bedeutet es genau, wenn wir sagen, wir kennen die Bedeutung des Worts »Kopf«? Dass wir

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