Was macht der Fisch in meinem Ohr
drei dienen zur Bezeichnung bestimmter Behausungen, sie bezeichnen aber drei verschiedene Arten von Behausungen. Mit einer Analyse ihrer distinktiven Merkmale wollte man die kleinsten semantischen Bestandteile ermitteln, die der Grund für die Bedeutungsbeziehungen zwischen den drei semantisch verwandten Begriffen sind. Alle drei sind »markiert« mit dem Merkmal [+Behausung], aber nur »Haus« hat zusätzlich die beiden Merkmale [+dauerhaft] und [+Stein]. »Zelt« wäre markiert als [–dauerhaft] [–Stein] und »Hütte« wiederum als [+dauerhaft] [–Stein]. Wie schön wäre es, ließen sich alle Wörter einer Sprache auf diese Weise in Bedeutungsatome spalten! Die Bedeutung eines Worts wäre durch ein Verzeichnis seiner distinktiven Merkmale vollständig beschrieben. Und wenn sich nachweisen ließe, dass die Unterschiede in den Bedeutungen aller Wörter einer Sprache durch die Verteilung einer endlichen Menge semantischer Merkmale erklärbar sind, brauchte man an dieser Stelle noch nicht haltzumachen. Dann könnte man ein großes Legoland des Geistes basteln, in dem man nicht weiter zerlegbare binäre Sinnbauklötzchen zu allen möglichen Bedeutungen zusammensetzen kann.
Allein durch die Verwendung solcher Grundbausteine der Bedeutung bereits einen Teilbereich des Wortschatzes (und erst recht eine ganze Sprache) abzubilden ist eine verführerische Aussicht, die allerdings auf eine erhebliche Schwierigkeit stößt: nämlich die, nach welchen Kriterien man das Verzeichnis der semantischen Grundbausteine anlegen soll. Der gesunde Menschenverstand gebietet ohne Zweifel, dass ± [belebt] und ± [weiblich] zu den distinktiven Merkmalen gehören, die für die Bedeutung des Begriffs Frau einschlägig sind, ± [verchromt] jedoch nicht. Der gesunde Menschenverstand beruft sich allerdings auf die Summe unserer Erfahrungen in der nichtsprachlichen Welt und auf die Fähigkeit, uns in dem Labyrinth Sprache zurechtzufinden, und das ist genau jenes unscharfe und formlose Wissen, das die Analyse distinktiver Merkmale eigentlich überwinden und ablösen möchte. Die Zerlegung in Binärstrukturen ist für bestimmte Bereiche der Linguistik und (in wesentlich komplexerer Form) für die »Sprachverarbeitung«, die Computer heute leisten, zwar sinnvoll, Wortbedeutungen jedoch lassen sich durch semantische »Atomspaltungen« allein nicht ermitteln. Menschen verstehen sich einfach zu gut darauf, Wörtern durch ihren Sprachgebrauch eine andere Bedeutung zu geben.
Die quasi-mathematische Berechnung von »Bedeutung« scheitert auch vor einem grundlegenderen Problem, nämlich dem, wie man die vorsprachlichen Inhalte identifiziert, deren Bedeutung ermittelt werden soll. Zu fragen, was ein Wort bedeutet (und Übersetzer werden häufig gebeten, anzugeben, was dieses oder jenes Wort bedeutet), heißt vorauszusetzen, dass man weiß, nach welchem Wort überhaupt gefragt wird, und dafür wiederum muss man wissen, was ein Wort überhaupt ist. Nun ist das Wort »Wort« gewiss ein vertrautes, zweckmäßiges und leistungsfähiges Instrument in dem geistigen Werkzeugkasten, den wir verwenden, wenn wir über Sprache sprechen. Und doch ist es ungewöhnlich schwer zu sagen, was es bedeutet.
Computer müssen die Antworten kennen, weil sie Wörter zählen. Das ist uns jedoch kein Trost. Computer wissen über Wörter schließlich nur, was man ihnen gesagt hat, und das läuft darauf hinaus: Ein Wort ist eine Kette von Schriftzeichen, die links und rechts von einem Leerzeichen oder einem der typografischen Symbole -/’?!:;,. begrenzt wird. 5 Computer brauchen die Bedeutung eines Worts nicht zu kennen, um die Operationen auszuführen, die wir ihnen abverlangen. Wir aber schon! Und kennen wir sie wirklich einmal nicht, versuchen wir sie herauszufinden: mithilfe eines Wörterbuchs oder eines Bekannten oder dadurch, dass wir anderen beim Sprechen zuhören. Aber dann bleibt immer noch ein ganzer Sack von Problemen übrig.
In Sprachen wie dem Englischen ist das Erkennen von Wörtern eher Kunst als Wissenschaft. Verlage verwenden hauseigene Formatvorlagen, anhand deren sie entscheiden, ob Paare, die auseinandergehen, »break-ups« durchmachen oder »break ups« oder »breakups«, oder ob jemand einen Einwand »gerechterweise« oder »in gerechter Weise« gelten lassen muss; normale Sprachverwender wollen aber wissen, ob »to break up« als ein Wort oder als zwei oder drei Wörter anzusehen ist. Doch nichts Genaues weiß man nicht. 6
Sprachsachverständige, die
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