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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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oder von physischem Zusammenhang her (Beispiel: Man klopft an Türen an, wenn man einen Job sucht), und das wird Metonymie genannt. Das ganze Repertoire dieser »Sprachfiguren«, jahrhundertelang als Bestandteile der heute erloschenen Tradition der Rhetorik gelehrt, eignet sich zwar für amüsante Sprachspiele, ist im Grunde aber Augenwischerei. Begriffe wie Polysemie, Homonymie, Homophonie, Metapher und Metonymie helfen nicht beim Verstehen, wie die Bedeutung in die Wörter und aus ihnen heraus kommt, sondern sind krause Versuche, Wörter und ihren unbändigen Drang nach neuen Bedeutungen in Schach zu halten. Es müsste schon ein fantasievoller Sprachvirtuose ersten Ranges sein, der überzeugend zu erklären imstande wäre, warum der Teil eines Automobils, unter dem sich entweder der Motor- oder aber der Kofferraum befindet, in Großbritannien »bonnet« und in den USA »hood« heißt. Trotz aller Verve, mit der sich eine Schar von Amateuren dazu äußert, ist die Semantik der Wörter ein einziges geistiges Chaos.
    Gleichwohl haben die meisten Sprachen Wörter für dieselben Dinge und scheren sich nicht um Wörter für Dinge, die es in ihnen nicht gibt oder die nicht gebraucht werden. In der Regel haben sie eigene Ausdrücke für die grobe Orientierung (auf, ab, links, rechts – aber siehe S. 203 für die Sprachen, in denen derlei fehlt), für Bewegungsarten (laufen, gehen, springen, schwimmen) und für Bewegungsrichtungen (kommen, gehen, abreisen, eintreffen), für Verwandtschaftsbeziehungen (Sohn, Tochter, Schwägerin und so weiter), für Gefühle und Empfindungen (heiß, kalt, Liebe, Hass), für Lebensereignisse (Geburt, Heirat, Tod, Krankheit und Gesundheit), für Arten von Bekleidung, für die physischen Merkmale der Landschaft und für Kardinalzahlen (bis zu fünf, zehn, zwölf oder sechzehn). Manche haben Wörter für Bruchzahlen, das deutsche anderthalb oder das sawa (ein und ein Viertel) im Hindi – aber eine gesonderte lexikalische Einheit für die Zahl 2375 hat wohl keine Sprache. Alle Sprachen, die in Gesellschaften verwendet werden, welche Beförderungsmittel mit Rädern kennen, haben Wörter für Fahrzeuge verschiedenster Art, meines Wissens aber hat keine eine gesonderte lexikalische Einheit mit der Bedeutung »Fahrzeug mit verchromtem Lenker« zur kollektiven Bezeichnung von Fahrrädern, Dreirädern, Tandems, Mopeds, Motorrädern, Kinderwagen und Rasenmähern. Im Französischen mag es zwar Einzelwörter für »die in der Seemannskiste eines Verstorbenen gefundene persönliche Habe« (hardes) und für »zum Weinanbau geeigneter Kiesboden« (grou) geben, faktisch aber haben alle möglichen wirklichen und gedachten Dinge, Klassen von Dingen, Handlungen und Gefühlen in den meisten Sprachen keine Namen. Das Englische zum Beispiel kennt keinen festen Begriff für den Rest Pitabrot, den ein vollgefressenes Eichhörnchen in prekärem Gleichgewicht auf einem Gartenzaun abgelegt hat, wie ich gerade durch das Fenster meines Arbeitszimmers sehe, diese Leerstelle in meinem Vokabular hindert mich aber nicht daran, es zu beobachten, zu beschreiben oder davon zu berichten. Umgekehrt hindert die Existenz des Worts ghanam , das im Arabischen sowohl Schafe als auch Ziegen bezeichnet, Araber nicht daran, die Schafe von den Ziegen zu sondern, wenn das nötig ist. Und dass das Englische über kein Einzelwort und keine Wendung verfügt, die das Gegenstück zum französischen je ne sais quoi oder zum deutschen Zeitgeist wären, hindert mich nicht daran zu wissen, wie ich sagen kann, was diese Ausdrücke bedeuten. Sprachen stellen keineswegs Namen für »alle Dinge der Welt« bereit, ihre Wörterverzeichnisse sind im Gegenteil auf einen letztlich arbiträren Bereich von Zuständen und Handlungen beschränkt und verfügen auch über Mittel, mit denen man über alles sprechen kann, was aufkommt. Die menschlichen Sprachen eigene Flexibilität, sich neuen Bedeutungen zu unterwerfen, ist eine Bedingung für die Möglichkeit des Übersetzens und ein grundlegender Aspekt des Sprachgebrauchs überhaupt. Ein Wort für ein anderes zu verwenden ist nichts Besonderes – das tun wir ständig. Übersetzer tun dasselbe nur in zwei Sprachen.
    Früher umging man das unlösbare Problem, dass die Bedeutung eines Worts sich nicht festschreiben lässt, üblicherweise dadurch, dass man sie sich als Konglomerat vorsprachlicher geistiger Inhalte oder semantischer »Merkmale« dachte. Betrachten wir die drei Wörter Haus, Hütte und Zelt. Alle

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