Was macht der Fisch in meinem Ohr
nicht geringer, als Gilbert Adair und Eugen Helmlé darangingen, Georges Perecs Roman La Disparition , der ausschließlich aus französischen Wörtern und Wendungen ohne e besteht, zu übersetzen: der eine ins Englische (1994), der andere ins Deutsche (1986). Beim Schreiben auf den Buchstaben e zu verzichten ist kaum länger als einen kurzen Absatz durchzuhalten, denn wir sind es nicht gewohnt, Wörter in Bezug auf die Buchstaben zu denken, mit denen sie schriftlich fixiert werden. Es ist mühsam und dauert seine Zeit, den Kunstgriff zu lernen, hat man ihn sich aber beigebracht, kann man ebenso viel ausdrücken, wie es Perec auf Französisch zu sagen gelang. Und mehr noch! Adair garnierte seine A Void (Eine Leere) betitelte Übersetzung mit Scherzen und Einschüben aus eigener Feder und ersetzte Perecs e -lose Parodien berühmter französischer Gedichte durch e -lose Versionen bekannter Werke der englischsprachigen Dichtung. Hier sein Poe’scher Rabe:
»Sybil«, said I, »thing of loathing – Sybil, fury in bird’s clothing!
By God’s radiant kingdom soothing all man’s purgatorial pain,
Inform this soul laid low with sorrow if upon a distant morrow
It shall find that symbol for – oh for its too long unjoin’d chain –
Find that pictographic symbol, missing from its unjoin’d chain«
Quoth that Black Bird, »Not Again«
And my Black Bird, still not quitting, still is sitting, still is sitting
On that pallid bust – still flitting through my dolorous domain;
But it cannot stop from gazing for it truly finds amazing
That, by artful paraphrasing, I such rhyming can sustain –
Notwithstanding my lost symbol I such rhyming still sustain –
Though I shan’t try it again!
Eugen Helmlé, der Pionier der lipogrammatischen Übersetzung ins Deutsche, gab Anton Voyls Fortgang , der deutschen Fassung von La Disparition , nicht nur e- lose Fassungen von Gedichten Victor Hugos und Arthur Rimbauds bei, sondern riskierte auch einen Blick in Anton Voyls Journal. Hier ein Auszug aus dessen Notaten zu zwei Notabeln der amerikanischen Literatur, die auf die Namen Ahab und Moby Dick hören:
Ahabs Stirn glüht. Lang und wortlos starrt Ahab runzlig, angstvoll, bucklig zum Horizont. Stöhnt laut auf. Und Ahabs Brust, so mächtig stark, bläht sich.
»Moby Dick, Moby Dick!« brüllt Ahab zum Schluß lauthals. Los, Mannschaft ins Boot, vom Maat bis zum Schiffsbub.
In vielen Sprachen und in den verschiedensten Bereichen der Kultur – bei Mangas, Untertiteln, politischen Slogans, bei experimenteller Literatur, Lyrik und bei Volksdichtung – sind Übersetzer mit Formzwängen konfrontiert und meistern sie. Ja, die Formen selbst werden oft über historische, linguistische und kulturelle Räume hinweg transportiert. Angesichts dessen ist es töricht zu behaupten, dies alles sei doch unmöglich. Unmöglich ist beim Übersetzen nur, was noch nicht übersetzt wurde.
Eine weniger voreingenommene Betrachtung dessen, was Übersetzer tun, wäre die, genauer in den Blick zu nehmen, welche Wirkungen gelungene Entsprechungen strenger Formen haben. Hat Gilbert Adair Edgar Allan Poe übertroffen? Wie kommt es, dass die stark ausgedünnte Version der Onegin-Strophe in Adriana Jacobs’ Übersetzung von Maya Arads Nachahmung von Vikram Seths Nachahmung von Charles Johnsons Übertragung der Verse Puschkins etwas von der Ausgelassenheit und Freude der Jugend Onegins wieder zum Leben erweckt? Wie hat Anthea Bell es geschafft, den englischen Asterix noch witziger zu machen, als er schon auf Französisch war? Und wieso kam jemand auf die Idee, Verse durch Verse zu übersetzen führe geradewegs in eine Sackgasse? Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wenn man nicht nur eine Dimension einer Äußerung beachten muss und nach Lösungen sucht, die mehreren formalen Ebenen gerecht werden, entdeckt man in der eigenen Sprache bisher ungeahnte Ressourcen.
Natürlich gibt es keine hundertprozentige Entsprechung, denn so ist die Welt nicht. So albern es wäre zu behaupten, hochwertige Schneiderkunst sei »mathematisch unmöglich«, weil wir noch nie einen Anzug hatten, der absolut perfekt saß, so unklug wäre es, die Übersetzbarkeit von Formen in Abrede zu stellen, weil wir es noch nicht so hingekriegt haben, dass es in jeder Hinsicht tadellos war.
13. WAS MAN NICHT SAGEN KANN, KANN MAN NICHT ÜBERSETZEN: DAS AXIOM DER SAGBARKEIT
Wenn das Gepäckkarussell zum Halten kommt und der eigene Koffer nicht da ist, geht der verdrossene Reisende zum
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