Was macht der Fisch in meinem Ohr
– ihm in erster Linie zur Kontrolle, ob er den Gang des Geschehens erfasst hat. Wie viel der Zuschauer von der Politsatire wirklich versteht, geht an der Sache vorbei: Irgendetwas kommt bei ihm an. Und weil das Original nicht durch Übersetzung gelöscht wurde, ist dieses Etwas besser als nichts.
Um formale Entsprechungen kümmert sich das Lectoring nicht. Doch in einem Medium von ganz anderem kulturellen Rang und Namen als Fernsehen und Film ist sogar schon das Streben danach als sinnlos und vergeblich verhöhnt worden. Vladimir Nabokov ist bei Übersetzungsstudenten berühmt für seine scharfe Attacke auf die Torheit, Reime durch Reime wiedergeben zu wollen. Die berüchtigten Äußerungen zu diesem Thema sind der annotierten Übersetzung von Puschkins Versroman Eugen Onegin beigegeben, die Nabokov vorgelegt hat. Jeder Versuch, verfügte er, Ironie und Leichtigkeit, Geist und rhythmischen Fluss der besonderen Form nachzubilden, die das Puschkin’sche Sonett eben ausmacht, werde zwangsläufig den wahren Sinn der Verse des Dichters verfehlen und sei daher verabscheuungswürdig. Nabokovs Auffassungen zur Übertragung von Gedichten haben vielen Auseinandersetzungen auf dem Gebiet der Übersetzungswissenschaft einen eigentümlich schmähenden Beiklang verliehen. Seine Äußerungen müssen im Zusammenhang betrachtet werden. Leider hat er seine deutlichen Ansichten so apodiktisch und rigoros vorgetragen, dass dadurch die echten Probleme aus dem Blick gerieten.
Versuche, ein Gedicht in einer anderen Sprache wiederzugeben, fallen in drei Kategorien:
1. Paraphrastische, die eine freie Version des Originals bieten, mit Auslassungen und Ergänzungen, verursacht von den Zwängen der Form, von Konventionen, die man dem Konsumenten zuschreibt, und von der Ignoranz des Übersetzers …
2. Lexikalische (oder konstruierende), die die Grundbedeutungen von Wörtern (und ihre Reihenfolge) wiedergeben. Unter Anleitung eines intelligenten zweisprachigen Menschen kann dies eine Maschine leisten.
3. Wörtliche, die die exakte kontextuelle Bedeutung des Originals so genau wiedergeben, wie es die assoziativen und syntaktischen Möglichkeiten einer anderen Sprache erlauben. Allein dies ist wahre Übersetzung …
Kann ein gereimtes Gedicht wie Eugen Onegin unter Beibehaltung seiner Reime zuverlässig übersetzt werden? Die Antwort lautet natürlich nein. Die Reime beizubehalten und dabei das gesamte Gedicht wörtlich zu übersetzen ist mathematisch unmöglich. 4
Diese Darstellung (die eine von John Dryden bereits viel früher getroffene Unterscheidung zwischen Nachahmung, Paraphrase und Metaphrase in umgekehrter Reihenfolge wiederholt) steht in der Einleitung zu Nabokovs eigener, nicht gereimter Übersetzung des Versromans von Puschkin, begleitet von einem sehr langen und gelehrten, Zeile für Zeile vorgehenden Kommentar zur Bedeutung der Puschkin’schen Verse. Nicht die Übersetzung ist das eigentliche Werk, sondern die Annäherung an sie durch einen überdimensionierten Peritext. Auf Puschkins Altar legte Nabokov, in zwei Sprachen ein meisterhafter Stilist, der sprachübergreifende Wortspiele von einzigartiger Kunstfertigkeit schuf, das Gewand des Schriftstellers ab und begab sich auf den, wie er es nannte, Weg des Dienens. 5 Seine offen gesagt untypische Bescheidenheit hat in diesem Fall einen triftigen Grund. Wer kann es mit Puschkin aufnehmen? Kein Russe kann davon auch nur träumen – und doch träumt jeder russische Schriftsteller auch davon, Puschkin zu entthronen. Für den russischen Schriftsteller, der Nabokov immer noch war, obwohl er schon 20 Jahre zuvor das Englische zu seiner Literatursprache erkoren hatte, war die Übersetzung Puschkins keine Aufgabe, die er einfach so in Angriff nehmen konnte.
Überlegen wir einmal, was für Nabokov (aber für keinen anderen) mit der Übertragung Puschkins in englische Verse auf dem Spiel stand. Man kann getrost davon ausgehen, dass Nabokov es gekonnt hätte wie kein anderer, hätte er sich getraut, das Wagnis einzugehen. Er hätte sich zum Rivalen Puschkins aufgeworfen. Hinzu kommt: Er hätte Eugen Onegin selbst geschrieben.
Etwa zur selben Zeit, als Nabokov mit seiner Übertragung Puschkins in einfache Prosa begann, las Georges Perec Herman Melvilles Erzählung über einen New Yorker Angestellten, Bartleby der Schreiber . Er fand sie ziemlich perfekt und wünschte, er selbst hätte sie geschrieben. Aber das kann ich nicht!, erklärte er in einem Interview. Denn Melville hat sie
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