Was macht der Fisch in meinem Ohr
Englisch lesen, wurde in der Zwischenzeit von einem Al-Jazeera-Mann im Iran auf Arabisch formuliert, dann vom AP-Büro in Kuwait in eine englischsprachige Meldung umgewandelt und schließlich von einem Journalisten in London bearbeitet. Ebenso kann die Nachricht von einem Erdbeben in Thailand zuerst vom AFP-Büro in Bangkok auf Französisch gemeldet und dann vom englischen Sprachendienst der AFP in Paris herausgegeben worden sein, bevor sie ein paar Minuten später für die iranischen Fernsehnachrichten in Farsi umgewandelt wird. Die Struktur dieses ausgefeilten Netzwerks von Fachleuten für die Produktion internationaler Nachrichten bewirkt, dass die unterschiedlichen Sprachfassungen einer bestimmten Meldung niemals dasselbe ausdrücken. Angeblich vermitteln sie dieselbe Information , die Art und Weise aber, wie das geschieht, berücksichtigt wohlbegründete Annahmen über politische, soziale, religiöse, geistige, moralische und andere Empfindlichkeiten, die in der Empfängersprache und -kultur bestehen.
Wie können Sie unter diesen Umständen überhaupt wissen, dass eine Nachricht stimmt? Sie können es nicht. Sie schenken Nachrichten einfach Vertrauen, und das bedeutet, dass Sie, auch wenn Ihnen das nicht klar ist und Sie auf Partys oft das Gegenteil behaupten, Ihren übersetzenden Journalisten komplett vertrauen. Wie könnten Sie sonst glauben, auch nur das Geringste vom Weltgeschehen zu begreifen?
Es ist zwar paradox, leuchtet aber ein: Eine Nachricht aus der weiten Welt ist ein lokales Produkt. Nicht etwa, weil es sprachliche Hindernisse bei der Verbreitung der Information gäbe, sondern weil die sprachliche Vermittlung von Nachrichten den vom Empfänger tatsächlich oder nur gefühlt auferlegten Einschränkungen unterworfen ist. Die Postillione von heute, die das Nugget neuer Meldungen von Gent nach Aachen befördern, heften an, hobeln ab und schneiden heraus, was keinen eigentlichen »Nachrichtenwert« hat. Nach dieser Feststellung brauchte man rhetorisch gar nicht weit zu springen, um wieder bei der radikalen Position zu landen, dass alle Tatsachen über die Welt sprachliche Konstruktionen sind und sonst gar nichts. Nachrichtenagenturen und die Menschen, die dort arbeiten, kümmern sich aber nicht um Dekonstruktion. Sie betreiben ihr Gewerbe mit der festen Überzeugung, dass die Information, die sie in unterschiedlichen sprachlichen und rhetorischen Versionen aussenden, jenseits der Sprache liegt, in der Sphäre des Realen.
Das Übersetzen als integraler Bestandteil der Arbeit mit Sprache ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal des globalen Nachrichtenvertriebs. Im grenzüberschreitenden Recht (beim Europäischen Gerichtshof etwa), in der Diplomatie und der Tätigkeit vieler internationaler Organisationen ist die Grenze zwischen hier Übersetzen und da Entwerfen, Bearbeiten, Korrigieren, Umformulieren und Anpassen eines Texts fließend, sei er in derselben oder in einer anderen Sprache verfasst. Auf all diesen wichtigen Gebieten ist das Übersetzen nur eine Etappe in der fortschreitenden Ausgestaltung und Verbreitung von Texten.
Zwei Nebenwirkungen der Art und Weise, wie Nachrichten zwischen unterschiedlichen Sprachen und Nutzergesellschaften übermittelt werden, verdienen Beachtung. Zum einen wird das »Übersetztsein« von Nachrichten unsichtbar. Doch sogar wenn das Verdecken des Übersetzens ein ausdrücklicher Zweck der EU-Norm der Sprachenparität ist, ist es keine zwingende Bedingung der Nachrichtenverbreitung. Hier könnte man leicht gegensteuern. Unter die Nachricht von der neuesten Ansprache des iranischen Präsidenten etwa könnte man ohne Weiteres den Namen des Journalisten setzen, der die englischsprachige Reuters-Meldung aus Kuwait bearbeitet hat, die auf einen arabischen Bericht von Al Jazeera zurückgeht, das die Information einem in Teheran auf Farsi ausgestrahlten Radiobeitrag entnommen hat. Zum anderen erzeugt unsere kollektive Gleichgültigkeit gegenüber der Sprachgeschichte dessen, was die Medien uns sagen, den Irrglauben, die Versorgung mit internationalen Nachrichten sei einfach und unkompliziert, abhängig nur von den Wundern des Satellitentelefons und der Datenübermittlung. Das ist sie aber nicht. Sie ist mühsame Arbeit, ausgeführt von begabten Sprachjournalisten, die unter engen Zeitvorgaben schuften.
23. DAS ABENTEUER DER AUTOMATISCHEN SPRACHÜBERSETZUNG
Die fehlende Bereitschaft der europäischen Völker zum Erhalt des Lateinischen oder zur Nutzung einer anderen
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