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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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nicht, in welcher seiner vier Sprachen er gerade spreche oder schreibe – er wechselt sie einfach, genauso wie er sich seine Tasche mal über die linke und mal über die rechte Schulter hängt. Das Resultat solcher gedankenloser sprachlicher Sanktionierungen juristischer Mogeleien ist, dass Bedeutung und Grammatik von 23 Sprachen mittlerweile zu einer EuGH-Sprache verschmelzen, die eine eigene Gattung ist – sui generis , um es mit Saussures Begriff zu sagen – »Eurosprech« in Alltagsdiktion. Einer der wenigen Linguisten, die das luxemburgische Sprachenlabyrinth genauer unter die Lupe genommen haben, zieht folgendes Fazit: »Die einzigartigen Umstände beim Aufbau eines europäischen Rechts haben zu einer Hybridisierung des Rechts und der Sprache geführt.« Und ich – zugegeben ein Außenseiter und ein Laie auf dem Gebiet – habe den Eindruck, dass das Grundgerüst für diese neue Hybride, auch wenn es sich formal durch das Medium des Französischen ausdrückt, vom Englischen geliefert wird.
    Ohnehin würden sich manche Europhile wie auch Euroskeptiker wünschen, dass die europäischen Institutionen sich des Englischen bedienten. Die EU-Regel der Sprachenparität führt nämlich regelmäßig zu Verzögerungen und verzerrt und verdunkelt offizielle Entscheidungen und Standpunkte über Gebühr. Wie bereits gesagt, treten Urteile des EuGH mit dem Datum ihrer Veröffentlichung in Kraft, und zwar gleichzeitig in allen Amtssprachen der Union. Daher sind die Richter ständig dem unauffälligen Druck seitens ihrer permanent überarbeiteten Sprach- und Rechtssachverständigen ausgesetzt, Urteilssprüche kurzzufassen. Die europäische Justiz gibt sich folglich meist zugeknöpft und erspart sich seitenlange abwägende Begründungen, wie sie ergangene Sprüche etwa des britischen Oberhauses oder des amerikanischen Supreme Court begleiten. Das löbliche politische Ziel, alle Sprachen Europas gleich zu behandeln, führt ungewollt, aber vielleicht unausweichlich dazu, dass die Verständlichkeit der vom Europäischen Gerichtshof gefällten Entscheidungen bei ihrer Kürze und Knappheit bisweilen auf der Strecke bleibt.

22. NACHRICHTEN ÜBERSETZEN
    Im Jahr 1838, während einer sich in die Länge ziehenden Schiffsreise nach Triest, sann der Dichter Robert Browning darüber nach, wie weiland Nachrichten aus dem belgischen Gent nach Aachen gelangten:
    Wir sprangen zu Pferde, galoppierten zu dritt
    ich, Joris und Dirck, in jagendem Ritt …
    Unerwähnt bleibt, wie die berittenen Kuriere die Meldung in ihrer Satteltasche aus dem Flämischen ins Deutsche brachten. In früheren Epochen erschienen Nachrichten, die in Europa von A nach B expediert wurden, mit großer Wahrscheinlichkeit auf Französisch, und wurden auch so empfangen. Heute sind wir es gewohnt, Aktuelles in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen und im Internet in unserer Landessprache gemeldet zu bekommen, und das ohne große Verzögerung. Wie aber gelangt erfreuliche und unerfreuliche Kunde heute von Shenzhen nach Chicago, von Marseille nach Melbourne, von Rio nach Rjasan? Für das Tempo sorgen die elektronischen Medien, das erklärt aber noch nicht, wie politische Ereignisse und menschliche Begebenheiten, die fast immer in einer uns fremden Sprache zu Nachrichten werden, uns trotzdem im Handumdrehen in der unseren erreichen.
    Bei der Flut von Information, die in unzähligen Sprachen um den Globus fliegen, möchte man meinen, irgendwo in einem versteckten Ameisenhügel lebte ein emsiger Trupp von Sprachinsekten in permanentem Stand-by, bereit, Nachrichten aus allen Sprachen der Welt in null Komma nichts in alle anderen zu überführen. Aber das kann nicht sein, denn dafür brauchte man fast 49 Millionen Sprachameisen-Teams (siehe S. 213) – und einen menschlichen Ameisenhaufen dieser Größe kann man nicht verstecken. Selbst wenn eine hypothetische Zentrale für Nachrichtenübersetzung nur 80 Verkehrssprachen abdeckte, brauchte sie noch 6320 einzelne Schreibtische. Und bei einer angenommenen 40-Stunden-Woche pro Übersetzer und unter Berücksichtigung plötzlicher Nachfragespitzen, ausgelöst von Großereignissen in Paris oder Peoria, Illinois, brauchte man für dieses Unternehmen ein Gebäude von der Größe des Empire State Building. Es gibt aber keinen Wolkenkratzer in New York, London oder Rio, der Sitz einer weltweiten Nachrichtenübersetzungszentrale ist. Nachrichtenredaktionen auf der ganzen Welt haben sogar fast nie Übersetzer unter ihren Angestellten. Und wie

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