Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
wie es an einem Ende schwarz wurde und sich nach oben bog, erinnerte Joe an einen Streichholztrick, den ihm ein Schulfreund einmal gezeigt hatte und der Toter-Mann-Erektion hieß. Er zündete ein zweites an. »Jaah. Das verstehe ich. Warum bitten wir sie nicht, mindestens einmal die Woche für einen ganzen Tag zu kommen?« Sorgfältig schob er dieses Streichholz unter die Zweige und ließ es fallen; es zischte beim Kontakt mit dem weißen Würfel, und eine kleine Flamme züngelte knisternd an die Reisigzweige darüber. Er fühlte Emmas Lippen an seiner Wange, überrascht wandte er den Kopf. Sie hatte sich neben ihn gekniet.
    »Danke«, sagte sie. Einen Moment lang meinte er, Traurigkeit in ihren Augen zu sehen, und konnte sich nicht erklären, warum; es war doch nur ein winziger Punkt, den er in ihrem Beziehungsspiel gewonnen hatte. Aber plötzlich begann der Kamin zu fauchen, die ganze Pyramide hatte Feuer gefangen, und sie betrachteten beide die Flammen, und dann sahen sie einander an. Emma lächelte, Staunen strahlte aus ihrem Gesicht, nur über diese kleine Errungenschaft. Vielleicht ist Feuer die Antwort, dachte Joe.

    Wenn Vic je zuvor schon einmal verliebt gewesen war, dann in Gitarren. Mit dreizehn hatte er zwei Sorten von Pornomagazinen verschlungen: Pornographie und Gitarrenpornographie. Gitarrenpornographie — Musikmagazine, Fachblätter, Kataloge — war die unverfänglichere Sorte gewesen; da hatte er sich nicht für älter ausgeben müssen, wenn er sie kaufte, und seine Mutter schrie nicht das Haus zusammen, wenn sie die Blätter in seinem Schlafzimmer fand. Der einzige Nachteil war, daß man dazu nicht wichsen konnte, obwohl es, in Vics Fall, nicht an Versuchen mangelte.
    Er konnte Stunden in seinem Schlafzimmer damit verbringen, träumerisch auf die weiblichen Rundungen zu starren, die Reihen um Reihen von Stratocastern und Telecastern und Flying Vs und Les Pauls in einer Unzahl von verschiedenen Farb- und Glanznuancen und mit den tausenden Lichtreflexen, die die Strahler des Fotostudios zum Tanzen brachten. Manchmal nahm ihn eine akustische Gitarre gefangen, eine zwölfsaitige Martin mit dem umwerfenden Schwung ihrer Rundungen zum Beispiel oder der sanft gewölbte Rücken einer Ovation. Aber im Brennpunkt seiner Begierde standen die halbakustischen: Wenn er die Abbildungen einer Gretsch Country Gentleman oder einer Gibson 335 sah, spürte er wie auf Knopfdruck eine Gier, die wie Heißhunger war — die gleiche kurzgeschlossene Leitung zwischen Lust und Objekt, wie wenn er eine Vagina sah.
    Seine erste Gitarre war eine Columbus Stratocaster-Kopie gewesen. Er hatte sie in einem Anzeigenblatt annonciert gesehen und 70 Pfund dafür bezahlt. 70 Pfund, die er seiner Tante Marion mit Fingerspitzengefühl aus dem Portemonnaie klauen mußte und für die er endlose Beschimpfungen und beträchtliche Prügel von seinem Vater einstecken mußte, der entschlossen war, ihm ein Geständnis zu entlocken; 70 Pfund, die er dann einem Mann mit krächzigem Husten übergab, der behauptete, er hätte mit Jeff Beck gespielt, und Vic nicht mehr aus seiner versifften Wohnung in Bexleyheath rauslassen wollte — aus keinem anderen finstereren Grund als dem, daß er sonst niemand hatte, dem er seine traurige Lebensgeschichte erzählen konnte. Aber es war die Mühe wert gewesen. Vic hatte eine elektrische Gitarre, einen solch unglaublichen Schatz, der so sehr das Symbol einer anderen, glänzenderen, unerreichbaren Welt war, daß die anderen Kids in der Schule ihn verspotteten, wenn er darüber sprach, weil sie überzeugt waren, daß einer aus ihren Reihen sie unmöglich haben konnte.
    Auch jetzt noch — nach seiner ernüchternden Erfahrung als Gitarrist einer Band, die es nicht geschafft hatte, und der dabei gelandet war, für Werbespots und Boy-Bands zu spielen — war seine Verliebtheit in das Instrument so frisch wie damals. Und so hatte die Wohnung über dem Rock Stop auf eine Art etwas Romantisches für Vic. Es war ein nieseliger Dienstag — der Wochentag, an dem das Kindermädchen auf Emmas und Joes Beschluß hin jetzt ganztags kam — , als er ihr zum ersten Mal die Tür öffnete. Er knipste das Licht an, und sie brach in schallendes Gelächter aus — ob vor Entsetzen oder Freude, konnte er nicht einschätzen —, und dann, nach einer schnellen 180-Grad-Drehung mit dem Kopf, bei der sie den Raum in sich aufnahm, tanzte und hüpfte sie wie eine außer Rand und Band geratene Vierjährige durch die beiden ineinander

Weitere Kostenlose Bücher