Was man so Liebe nennt
wollte ich damit nicht sagen — wirklich, Vic, es gefällt mir hier. Aber am Meer bin ich einfach glücklich. Allein sein Rauschen. Und wie es riecht. Man kann viel besser entspannen als...«
»Beim Krach und Gestank der Dulwich Road?«
Emma sah wieder nach vorn. Sie lächelte, aber ihre Augen blickten sehnsüchtig. »Das Meer überschwemmt einem die Sinne. Wenn wir dort wären... Wäre es nicht herrlich, eine ganze Nacht lang einfach nur zusammen dem Meer zu lauschen?« Vic gab keine Antwort. Sie ließ ihre Hand über die Harfe gleiten, und die offenen Saiten erklangen wie ein Kirchenchoral.
»Hast du vorher gewußt, daß diese Harfe hier ist?« fragte sie.
»Nein, ich hab mir nicht die Mühe gemacht, die Koffer aufzumachen, die keine Gitarrenform hatten.« Er zupfte an den Saiten und entlockte ihnen einige Mißtöne. »Ich glaube, dort drüben ist sogar ein elektrisches Klavier...«
»Es ist ein sehr hübsches. Halb so groß wie ein klassisches.« Sie schob ihre Finger durch seine, führte sie im Takt über einzelne Saiten und geleitete ihn zu einer einfachen Melodie. »Mein Vater hat mir das Harfespielen beigebracht. Ich glaube, es war seine Art, mir ein bißchen von der alten Heimat einzuflößen.«
»Was ihm offenbar gelungen ist. Bei dem, was du eben gespielt hast, mußte ich an Irland denken.«
Sie lachte, wandte wieder das Gesicht halb zu ihm um. »Lüg nicht. Du hast an die Murphy-Bier-Werbespots gedacht.«
Auch Vic lachte, wich aber leicht zurück, verblüfft, daß es Emma in sich hatte, zu spotten. Als er von ihr abrückte, ergriff sie seine rechte Hand und drehte sie nach oben.
»Wo hast du dir die Schramme da geholt?« fragte sie und fuhr mit den Fingerspitzen über den dünnen, an den Rändern weiß verfärbten Schnitt seitlich an Vics Handgelenk.
»Als ich mir vor Sehnsucht nach dir die Pulsadern aufschneiden wollte.«
»Natürlich! Welch dumme Frage von mir.«
»Ich habe sie mir geholt, als ich heute morgen meinen Roller anschieben mußte. Das gute alte Schlachtroß beschloß, mitten auf der Sydenham High Road stehen zu bleiben.«
Emma senkte den Kopf und küßte den Schnitt, der immer noch halb geöffnet war. Er spürte ihre Lippen und stellte sich den Schnitt als tiefe Öffnung vor, durch die ihr Atem in seinen Körper sickerte, und fühlte förmlich, wie sich die Wärme unter seiner Haut ausbreitete.
»Ich seh mal nach, ob ich irgendwo ein Pflaster finde...«
Er faßte sie um die Taille und hielt sie fest. »Nein. Laß! Ich steh auf Wunden! Mit ein bißchen Nachhilfe wird sich die hier zu einem hübschen, stilvollen Eitergrind entwickeln.«
»Du bist ekelhaft.«
»Nein, ehrlich«, sagte Vic. »Grinde, Mückenstiche, Warzen — es lohnt sich wirklich, all so was zu haben. Ich liebe Sachen, die jucken. Wie himmlisch, sich dran zu kratzen.« Sie wirbelte herum, setzte sich rittlings auf seinen Schoß und sah ihm ins Gesicht. Dann streckte sie ihm die Zunge raus, als müsse sie kotzen. Er leckte ihr mit seiner langen und spitzen Zunge — einer von der Sorte, die manchen Leuten wie ein Fremdkörper im Munde sitzt — erst vorn über die Geschmacksknospen und dann die ganze Zunge entlang. Emma wich zurück und zog die Nase kraus. »Weißt du, was wirklich mein Traum ist? Ein Ekzem.«
»Bitte, hör auf...«
»Oder noch besser — Schuppenflechte. Schuppenflechte und dazu einen Diener, der vierundzwanzig Stunden lang nichts anderes macht, als mich kratzen. Welche Wonne! Das totale Körper jucken, dem dauernd jemand Abhilfe verschafft.«
Sie schüttelte den Kopf. »Also, ich steh auf Männer mit Pockennarben im Gesicht. Die finde ich wirklich sexy.«
Vic schniefte und verdrehte die Augen. »Oh! Welch oberflächliche Körperfetischistin du doch bist!«
»Na«, sagte sie sanft. »Ich glaube nicht, daß ich hier diejenige bin, die von Körpern besessen ist...«
Seine inneren Alarmglocken schrillten jetzt leise, aber in Emmas konzentriertem, zärtlich auf ihn gerichteten Blick las er dann, daß sie sich ein klareres Bild von ihm machte, als er glaubte, daß sie ihn akzeptierte, wie er war. Vic lächelte und spürte die luftige Freiheit des Enthobenseins von Verantwortung. Er legte seinen Mund an ihr Ohr.
»Spiel noch etwas anderes«, flüsterte er.
JOE
M arian Foster hielt die Spritze vor ihr Gesicht und preßte den Kolben: Ein kurzer Strahl eines bisher namenlosen CD4-Proteinhemmstoffs schoß aus der Nadel. Was Marian da tat, hatte seine guten Gründe — es bestand stets die
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