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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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indischen Subkontinent gerade die Dreißig-Prozent-Marke überstiegen hat.«
    »Ja, trotzdem. Seit wann hätten Ereignisse in der dritten Welt schon Einfluß auf das Denken bei uns gehabt? Übrigens, argumentieren wir beide jetzt mit vertauschten Rollen?«
    Wieder klingelte das Telefon. Joe signalisierte Jerry, er solle ruhig abheben, aber der schüttelte den Kopf.
    »Du hast natürlich recht. Es ist längst nicht mehr soviel Geld für die HIV-Forschung da wie vor zehn Jahren, und das nicht etwa, weil die Infektionsraten heute niedriger wären. Der Punkt ist nur — Friedner will deinem Labor kein so großes Forschungsbudget mehr bewilligen wie bisher.«
    »Aber wir brauchen mehr Geld, nicht weniger...«
    »Ich weiß. Aber wir sind ein kommerzielles pharmazeutisches Unternehmen und müssen im Auge behalten, daß die Investitionen sich auch bezahlt machen.«
    Joe senkte den Blick und fummelte an seinem Ohr herum. »Ich will es nicht glauben, daß wir dieses Gespräch führen«, sagte er. Das Telefon hörte zu klingeln auf. Joe spürte Jerry Blooms Hand auf seiner Schulter und wandte den Kopf. Unterhalb der Knöchel waren die ersten Leberflecken auf Jerrys Hand zu sehen.
    »Ach, Joe. Du wärst bestimmt viel glücklicher, wenn du in einer Klinik oder Universität arbeiten würdest, stimmt’s?«
    Joe ignorierte die gefühlsduselige Masche. »Warum gerade jetzt?« fragte er. »Was hat den Sinneswandel bewirkt?«
    Jerry zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht genau. Aber möglicherweise — Dianas Tod.«
    Joe fiel die Kinnlade herunter. » Was ?«
    »Wir sind Cosponsoren bei zwei Aids-Hilfsprogrammen, deren Schirmherrin sie war. Oder vielmehr, wir waren es. Frankfurt glaubt, jetzt sei ein günstiger Zeitpunkt, daraus auszuscheren.«
    Joe lachte, ein bitteres Lachen, das nicht zu ihm paßte. »Und weiter?«
    »Na, wahrscheinlich hast du völlig recht, was das angeknackste Image der Krankheit betrifft. Sie spielt nicht mehr dieselbe Rolle im — wie nennen es die Zeitungskolumnisten? — ja, im Zeitgeist. Diana hatte Anteil daran: im Neuüberdenken eingefahrener Haltungen etc. etc. Und mir scheint, daß ihr Tod eine Art Wende ist, dem Ganzen irgendwie einen Schlußpunkt setzt.«
    »Du hast recht«, sagte Joe und stand auf. »Sie war halt auch zu sehr Achtziger .«

    Zurück in seinem Labor blickte Joe zu Marian hin, die der Ratte gerade eine Blutprobe entnahm. Er wußte, daß sich in dem Blut bereits Anzeichen von T-Zellen-Verminderung feststellen ließen. Während er seine Bürotür öffnete, nickte er Marian kurz zu, immer noch so wütend über Jerry Bloom, daß er nichts sagen konnte. Er ging zum Wasserturm in der Ecke und hielt einen kleinen Papierkegel unter den Hahn; der Kegel fühlte sich porös in seinen Händen an, wie eine Membrane kurz vorm Bersten. Als er dann wieder zur herumhantierenden Marian hinsah, kamen ihm Zeilen eines Gedichts in den Sinn, die ihn schockierten: Die Ratten unterwühlen den Bau, der Jude unterläuft das Gras.
    Joes Selbstverständnis kam ins Wanken, weil sein Gedächtnis solche Worte hervorkramen konnte. Allein daß sein Unterbewußtsein sie parat hatte, entsetzte ihn. Ihm schwindelte, er hatte das Gefühl, er sei aus seiner Verankerung gehoben. Dann fiel ihm ein, woraus die Zeilen waren — T.S. Eliots Burbank mit einem Baedeker —, und wie er sie als Schüler im Englischunterricht gelesen hatte und empört und zutiefst verwirrt darüber gewesen war, daß ein so großer Dichter ein Rassist sein konnte. Er kam nicht zurecht mit dem Widerspruch, wie Eliots Sicht auf einer Ebene so erleuchtet sein konnte und auf einer anderen so irregeleitet. Joes Verwirrung darüber war so groß, daß er sich endgültig von den schöngeistigen Fächern abwandte, in denen er vielversprechendes Talent gezeigt hatte, und sich statt dessen für die klar gezeichneten Linien der Naturwissenschaft entschied, die einen in keine moralischen Konflikte stürzte. Aber heute fand Joe überhaupt nicht, daß sie frei davon war.

VIC

    V ic schlief im Grunde nicht gern mit Frauen. Darin war er, wie er offen zugab, nicht sonderlich gut. Er hatte jedoch, wie wir gesehen haben, gern Sex mit Frauen, sehr gern. Schwierig war nur das Schlafen selbst.
    Vic schlief gut, wenn er allein war. Da konnte er sich vorher einen Dreifachespresso als Schlaftrunk genehmigen und trotzdem morgens nach einem tiefen Achtstundenschlummer und ohne Traumreste im Kopf aufwachen. Aber sowie jemand neben ihm im Bett lag, fegte ein Sandstrahlgebläse

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