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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Jerrys Schreibtisch. Jerry Blooms Büroausstatter hatten eine Menge schwarzes Leder verwandt, was zusammen mit dem hartnäckigen Gebrauch blauer Lampen dem Raum eine so penetrante Achtziger-Aura gab, die normalerweise außerhalb der Welten von professionellem Eiskunstlauf und deutscher Rockmusik nicht mehr zu finden ist. Das Panoramafenster rechts von Jerry gab den Blick auf eine offene Landschaft frei, in der niemand freiwillig spazierengehen würde, ein sonnenbeschienenes Gelände von Forschungsparks und Silikonanwesen.
    »Also gut. Ja. Auf Wiederhören!« Jerry legte den Hörer auf. »Entschuldige, Joe. Das Frankfurter Büro...« Er machte eine fahrige Handbewegung; als er dann Joe ansah, stockte sein Blick. »Sag mal, hast du abgenommen?«
    »Nein...«, seufzte Joe.
    Jerrys Hand wanderte zur Sprechanlage auf seinem Schreibtisch; während sein Zeigefinger darüber schwebte, fragte er: »Kaffee?«
    Joe schüttelte den Kopf: Er spürte, wie ihn wieder die Müdigkeit überkam. Er wollte sich auf kein langes Geplänkel einlassen mit Jerry, ihn zwingen, zur Sache zu kommen.
    »Nun...«, begann Jerry und lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück, wobei sein Bauch sich nach vorn wölbte, »wie läuft’s auf deinem Stock?«
    Joe blinzelte. Jerrys altgoldenes Haar stand ihm heute zu einer Seite hin wirr von seinem massigen Kopf mit den breiten Kinnladen ab. »Es geht so. Aber wir haben immer noch keinen Weg gefunden, die Nebenwirkungen des CD4-Hemmstoffs auszuschalten. Wir wollen ihn jetzt in Kombination mit intravenös verabreichtem Cidofovir testen — vielleicht gelingt es in dieser Mixtur, ich weiß es nicht.«
    »Hm...« Jerry schien ihm gar nicht zuzuhören. »Die Sache ist nur... wir könnten einen großen Durchbruch gebrauchen.«
    Joe schwieg eine Weile. »Wenn du >wir< sagst, Jerry«, begann er dann, »meinst du dann >wir< — die menschliche Rasse — oder >wir< — den Friedner-Pharmakonzern?«
    Jerry lächelte. »Natürlich beides, Joe. Beides! Aber kurzfristig gesehen... vor allem letzteres.« Nach einem kurzen Stoßseufzer stand er auf und ging zum Fenster. Die Hosen seines blauen, doppelreihigen Anzugs waren hinten zerknittert und ausgebeult. »Der Punkt ist folgender: Wie du weißt, wird nur eine bestimmte Summe für unsere Forschungen hier bewilligt. Und wir können es uns nicht leisten, Geld in Langzeitforschungen für ein bestimmtes Medikament zu investieren, wenn es keine handfesten Anzeichen dafür gibt, daß dieses Medikament schließlich auch gefunden und von uns hergestellt wird. Dein Labor widmet sich nun schon fünf Jahre lang der HIV-Forschung.«
    »Mit einigem Erfolg.«
    »Ja, einigem. Mixturen. Hemmstoffe. Vielleicht erhöhte Überlebenschancen. Aber, offen gesagt...«
    »Friedner will Himmelarschnochmal das große endgültige Heilmittel !« .
    Jerry Bloom sah ihn scharf an; er war in einem Alter, in dem Fluchen immer noch zu den Dingen gehörte, die man nicht vor seinem Chef tat, es sei denn, man arbeitete für Gene Hackman. Joe errötete, verwundert über sich selbst und den Grad seiner Müdigkeit.
    »Charmant ausgedrückt, Joe. Aber ja. Alles darunter ist finanziell untragbar.«
    Jetzt blickte Joe zum Fenster hinaus. In der Ferne waren die Wagenkolonnen auf der Autobahn zu sehen, die ihren Belagerungsring um London zog. Darüber stieg ein Flugzeug auf, hinterließ eine lange weiße Spur am Himmel, wie ein riesiger Spermastrom, der sich zum gigantischen Eidotter der Sonne hinbewegt.
    »Oh, Jerry. Du weißt, wie schwierig HIV ist. Der Virus mutiert. Er ist schwer zu fassen.« Jerry nickte. Der Wissenschaftler in ihm war noch nicht ganz begraben. »Aber es geht ja nicht nur darum, daß unsere Forschungen so langsame Fortschritte machen, nicht wahr?« fuhr Joe fort. »Aids ist einfach nicht mehr in Mode. In den Achtzigern war es der Hit, gab Rockstars die Gelegenheit, tiefgründig und ergriffen zu gucken und bei riesigen, ehrenwerten Fernsehspektakeln gegen Vorurteile anzugehen. Aber das ist das Problem mit Moden — sie vergehen. Und wie sehr Aids aus der Mode ist, merke ich, wenn ich den Leuten erzähle, daß ich daran forsche. Früher hatten sie Angst, daß ich sie womöglich anstecken könnte oder so was; später fanden sie meine Arbeit dann eine Zeitlang aufregend und bewunderten sie, und heute — na, da gucken sie mich einfach ziemlich gelangweilt an. Aids ist inzwischen...«, Joe sah sich nervös im Raum um, »... na, halt zu sehr Achtziger .«
    »Obwohl die Infektionsrate auf dem

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