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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Gefahr, daß sich Luftblasen im Spritzenkörper gebildet hatten aber trotzdem kam sie sich immer ein bißchen wie ein Scharlatan dabei vor: Es sah zu sehr nach der Sorte Dinge aus, die die Ärzte im Fernsehen machten, und dabei war sie noch nicht mal Ärztin. Doch daran brauchte sie nicht eigens erinnert werden, denn die Injektion, die sie gleich verabreichen würde, war keine heilende. Die Ratte im Käfig guckte zu ihr hoch und zuckte erwartungsvoll mit der Nase. Diese hier war eine wirklich freundliche Ratte, viel umgänglicher als die letzte, die sich offenkundig der Gefahr bewußt war, in der sie schwebte, und die Angewohnheit hatte, sich, alle Viere nach vorn gestreckt, gegen die Gitterstäbe des Käfigs zu werfen und sich festzuklammern, den Mund zu einem haßerfüllten Schlund aufgerissen.
    Von der anderen Seite der Glasscheibe, die sowohl als Fenster wie auch als Trennwand seines Büros diente, sah Joe seiner Assistentin beklommen zu. CD4 war eine der beiden Proteinstrukturen auf der Oberfläche einer Zelle, die es HIV ermöglichte, an ihr anzudocken, in die Zelle einzudringen und sie so infizieren. Die hemmende Komponente, an der Joes Laboratorium während der letzten sieben Monate gearbeitet hatte, zerstörte das Protein — was insofern von Vorteil war, als es die Möglichkeit einer HIV-Übertragung verringerte, aber den Nachteil hatte, daß es gleichzeig schwächend wirkte auf CD4S untergeordnetere Rolle als Hilfsmolekül, das Anteil an jenen größeren Strukturen hatte, durch die die wirksamsten Abwehrkräfte des Körpers, die T-Zellen, den anderen Zellen Signale geben. Bisher hatte Joes Labor noch keinen Weg gefunden, das Protein außer Kraft zu setzen, ohne das Immunsystem auf drastische Weise zu schädigen; und tief in seinem Inneren fürchtete er, daß alle Bemühungen darum wahrscheinlich fruchtlos waren.
    Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte; das aufleuchtende Linie 1-Licht verriet ihm, wer am anderen Ende war.
    »Hallo, Jerry.«
    »Joe. Könntest du mal kurz hoch in mein Büro kommen?«
    »Jetzt?«
    Eine Pause, ein Zungenschnalzen. »Es sei denn, du bist fürchterlich beschäftigt...«
    »Nein. Es paßt gut jetzt.«
    Als Joe die Tür zu seinem Büro schloß, fing er Marians Blick auf, als sie sich gerade vom Käfig abwandte; vielleicht war sie bloß überrascht, ihn plötzlich im Labor zu sehen, aber eine Sekunde guckte sie ihn gleichzeitig schuldbewußt und unschuldig an, wie ein ertapptes Kind.

    Der Friedner-Pharmazieforschungskomplex war ein weißes, T-förmiges, dreistöckiges Gebäude, das in drei Ackern Wiesenland südöstlich von London lag, dort, wo die M25 das Bild beherrscht. Wenigstens in diese Richtung schien London ein Ende zu haben. Es machte an dem weiten Leitplankenbogen der Autobahn halt, im Gegensatz zum Norden, wo es längst keinen greifbaren Punkt mehr gibt, wo London aufhört und das Land beginnt, sondern nur das allmähliche Zerfließen der Metropole in ihre grauen Vorstadtsatelliten.
    Auf Ebene C, an deren Ende Jerry Blooms Büro lag, hatten früher klinische Versuche stattgefunden; 1996 wurde sie jedoch in eine Verwaltungszentrale verwandelt, in der die Fäden zwischen Forschungskomplex und Friedners Filialen in London und Frankfurt zusammenliefen. Das ganze Geschoß war offenbar von einem radikalen Großraumbürofan entworfen worden, der zu viele Filme über amerikanische Zeitungsredaktionen gesehen hatte. Als Joe über den schwarzen Teppichboden zu Jerrys Büro ging, hatte er wie immer das Gefühl, daß die Leute an all den Schreibtischen hier eigentlich unter durchsichtigen Mützenschirmen hergucken und nach heißem Kaffee und Donuts schreien müßten.
    Jerrys Büro war der einzige Glaskasten auf dem Stock, der nicht durchsichtig war. Es war zwar auch aus Glas, aber die an drei Seiten verwendeten Glasbausteine verbargen die Vorgänge im Inneren. Unmittelbar davor, an einem Schreibtisch, der durch die Abwesenheit jeglicher Andeutung von Trenn- oder Stellwand wirkte, als sei er gerade dort aufgestellt, saß Valerie, Blooms Sekretärin, eine Frau, die sich einer so extremen Hormonbehandlung unterzogen hatte, daß Joe meinte, sie stünde kurz vorm zweiten Sprießen der Schamhaare, wahrscheinlich diesmal wie bei einem Affen.
    »Tag, Mr. Serena«, sagte sie. »Sie können gleich reingehen.«
    Joe öffnete die Tür. Jerry telefonierte, winkte ihn aber herein.
    »Ja. Das ist richtig. Nein. Wie du willst... ja.«
    Joe setzte sich auf den schwarzen Ledersessel gegenüber

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