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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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die triste Autofahrt von seiner Wohnung aus gemacht hatte — er dachte an Jackson, wie er still in seinem Bettchen lag, eine kleines Bündel von Leben und Vertrauen. Vic schwieg, weil er wußte, daß ein Symptom von Hirntumor Taubheit auf einem Ohr ist.

JOE

    A ls Joe sich am Sonntag morgen mit seinem frisch gebrühten Kaffee aufs Sofa setzte, scheuchte ihn plötzlich eine Traumerinnerung auf. Verschiedene Fragmente der Nachtbilder schwirrten ihm schon seit er aufgestanden war durch den Kopf, aber ohne weiteren Nachhall, ohne ihn aufzurütteln: bloß die üblichen Traumfetzen, die einem die zwanzig Minuten, ehe man richtig wach wird, im Kopf herumtaumeln. Aber als ihm dann diese eine Erinnerung mit plötzlicher Klarheit kam, merkte er, daß sie schon den ganzen Morgen an seinem Hirn genagt hatte, dort regelrecht auf der Lauer lag: so ähnlich, wie wenn man weiß, daß man irgend etwas vergessen hat, aber sich nicht erinnern kann, was. Ein Rumoren und Nagen im Hinterkopf, das erst in dem Moment als solches erkannt wird, wenn die Erinnerung kommt.
    Und Joe erinnerte sich plötzlich ganz deutlich: Er stand in einem Juwelierladen und küßte eine Frau. Das Bild versetzte ihm einen solchen Schreck, daß er ihm nachjagte. Er verfolgte es kreuz und quer durch seinen Kopf, und allmählich kam der Traum zurück — flüchtig und verschwommen wie Traumerinnerungen eben sind, die, kaum sind sie da, auch schon wieder entgleiten, wobei das Hirn sie behandelt wie ultraschnelle Versionen von wirklichen Erinnerungen. Joe hatte geträumt, daß er und Emma irgendwo mit mehreren Leuten Ferien machten, und eine der Frauen aus der Gruppe hieß Liz. Im Verlaufe des Traums, der sich in den fünf oder sechs Minuten Schlaf, die ihn hervorbrachten, über drei oder vier Tage erstreckte, hatte er sich mit Liz angefreundet. Und am Anfang des Traums war er sehr glücklich darüber gewesen. Aber dann, in dem Juwelierladen, überwältigte ihn plötzlich der Wunsch, sie zu küssen; die ganze Zeit schon hatte er diesen Wunsch gehabt, weil er so angezogen war von ihrem angenehmen Wesen.
    »Liz«, hatte er gesagt und sie leidenschaftlich, verzweifelt geküßt. Dann lösten sie sich voneinander und sahen sich in dem grellen Neonlicht des Ladens an, wo in den Glasvitrinen ringsherum Amulette und bunte Edelsteine auf Samtkissen glitzerten. Liz wandte sich ab.
    »Na gut«, sagte Liz irgendwie traurig. »Ab jetzt geht es wirklich schnell.«
    Ab jetzt geht es wirklich schnell. Das war der Höhepunkt des Traums, der Moment der Offenbarung. Joe wußte genau, was sie meinte: Was eine lange und fruchtbare Freundschaft hätte werden können, hatte sich nun in eine kurze, intensive Affäre mit vorprogrammiertem Ende verwandelt; von dem langsamen, gemütlichen Zug, in dem sie als Gefährten gereist waren, hatten sie sich in den rasenden Mercedes der Lust gestürzt.
    Es blickte vom Sofa aus zur Treppe hin. Emma lag noch im Bett. Heute morgen war er an der Reihe, sich um Jackson zu kümmern, und er schob es auf. Wie jedesmal versetzte es ihm einen Stich, wenn ihm klar wurde, wie sehr sie ihr Leben aufgesplittert hatten. Jetzt wechselten sie sich ab, wo sie früher auf Gemeinsamkeit erpicht gewesen wären. Besonders Träume hatten sie sich immer an vertraut, so als könnten sie damit ihre Getrenntheit während des Schlafs auslöschen, was ihnen tatsächlich manchmal gelungen war: Irgendwann hatten sie sich so viel von ihren Träumen erzählt, daß sie eines morgens aufwachten und genau denselben Traum gehabt hatten.
    Aber von diesem Traum würde er Emma nichts erzählen. Er brachte Joe selbst aus der Fassung. Er war nie untreu gewesen, außer mit Emma, als er noch mit Deborah zusammen war, und seine Treulosigkeit hatte sich in dem Kuß im Chaise auch schon mehr oder weniger erschöpft. Selbst bloß geträumte außereheliche Verstrickungen machten ihm zu schaffen — daß er davon träumte, beunruhigte ihn auf eine Art sogar noch mehr, weil es auf Wünsche und Sehnsüchte in seinem Unterbewußten schließen ließ, von denen er nichts ahnte und die er nicht kontrollieren konnte. Trotz allem, was Vic ihm an den Hunderten Spice of Sydenham-Abenden erzählt hatte, gehörten für Joe Verliebtsein und Monogamie ganz natürlich zusammen; es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß Liebe vielleicht eine Sprengkraft war, ein Kampf, in dem die Sehnsucht nach anderem ständig im Spiel ist.
    Das Babyphon gab seinen SOS-Ruf von sich. Joe nahm seine Kaffeetasse in die Hand und stand

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