Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
auf. Als er die Treppe zu Jacksons Zimmer hoch ging, blickte er aus dem Fenster. Aus dem Imbiß auf der anderen Straßenseite kam gerade ein dick eingemummeltes und mit Sonntagszeitungen und Bageltüten beladenes Paar. Die Frau lachte; Joe sah die Dampfwölkchen aus ihrem Mund kommen. Sieht aus wie eine Szene aus einem in Neuengland spielenden Film, sinnierte Joe, der oft an Neuengland dachte. Er war nie dort gewesen, malte es sich aber gern aus — das Bild des frischen, klaren Neuengland, frisch und klar wie der Schnee, der in seiner Phantasie die Straßen dort immer säumte, als Gegensatz zum alten England oder vielmehr zum modernen, neuen England, dem England der Seifenoperbrutalos.
    Das Babyphon piepste wieder. Joe zwinkerte und merkte, daß er eine ganze Weile dort gestanden hatte, so lange jedenfalls, daß sein beim letzten Schluck noch heißer Kaffee kalt geworden war.

VIC

    T ess trank — was sie selten tat, wenn sie zu Hause war, weil sie im Ausland jede Menge trinken mußte. Sie war schon immer der Meinung gewesen, daß die übliche Weinprobierprozedur — den Wein auf der Zunge rollen, einatmen, damit der Geschmack sich entfaltet, den Tropfen dann im Mund herumspülen und ausspucken— »Quatsch« war, wie sie einmal zu James Foy sagte. Tess fand, daß man bei dieser Methode einen Wein nicht richtig würdigen konnte; erst wenn man ihn hinunterschluckte, schmeckte man ihn wirklich: Wie er die Kehle wärmt, sein Echo auf der Zunge, der Unterschied zwischen erstem und zweitem Schluck — das war Bestandteil des Charakters eines Weins, seine Wirkung auf die Stimmung interessierte Tess dabei nicht. Sie war die einzige professionelle Einkäuferin mit gewissem Ansehen, die bei Proben die Weine routinemäßig schluckte. Außerdem war sie die einzige in dieser Zunft, die Weine bei Proben schlucken konnte , denn Tess hatte eine außergewöhnliche Aufnahmekapazität, konnte eine Magnum, eine Jeroboam, ja ganze Kisten trinken, ohne die Fähigkeit zu verlieren, das nächste Glas sehr genau zu beurteilen.
    Was der Grund dafür war, warum sie heute abend im Das ändert den Fall Tequila bestellte. Tess wollte sich betrinken, sich total zusaufen, weshalb sie Tequila wählte und nicht Whisky, Gin oder Wodka, die, was einen ordentlichen Vollrausch betraf, den gleichen Dienst geleistet hätten, einen aber nicht so abheben ließen wie Tequila. Tequila ist das einzige Getränk, das so ähnlich wie Drogen auf die Stimmung wirkt, der einzige Alk, bei dem man high wird statt abzustürzen. Tess nahm keine Drogen, aber manchmal sehnte sie sich nach diesem Bewußtseinszustand, und Tequila war für sie der beste Weg dahin.
    Vic konnte sich nicht erklären, warum Tess es heute abend darauf anlegte, sich zu betrinken, aber er merkte, worauf sie zusteuerte. Als er sich an der Bar anstellte, um Tess ihren sechsten Tequila zu holen, überlegte er, ob er es ihr nicht nachmachen sollte. Vic war nicht oft betrunken. Gegen den Zustand hatte er nichts, aber am Trinken selbst lag ihm wenig. Vic war ein Mann mit ziemlich eindeutigen Abneigungen und Vorlieben, und die hatten sich im Grunde seit seiner Kindheit nicht viel verändert: Als Zehnjähriger hatte er zum ersten Mal Alkohol probiert — ein helles Bier, das ihm sein Vater aufgezwungen hatte — und »urrgh« gedacht. Vic verstand nicht, wieso man, wenn man älter wurde, plötzlich anders reagieren sollte, die eigenen Geschmacksknospen veränderten sich ja schließlich nicht.
    Aber heute abend hätte er nichts dagegen gehabt, sich zuzuschütten. Er betrank sich nicht oft, und im allgemeinen brauchte er das nicht: Sein Seinszustand war sowieso ein ständiger Fadenriß, eine irgendwie schläfrige Ferne zu allem, die ihn unbelästigt, unberührt und unbesorgt durchs Leben streifen ließ. Aber heute abend war er besorgt. Hinter all seinen Gedanken — und auch wenn er nicht dachte, wenn sein Gehirn das reinste Vakuum war und Reize ohne Untertexte aufsaugte — spürte er Angst, eine Angst, die wie ein Magnet in seinem Kopf alles andere an sich zog. Das war Vic nicht gewohnt, und sein altes Ego kämpfte dagegen an, flüsterte ihm den Gedanken ein, hätte er gewußt, daß das passierte, hätte er sie gar nicht erst gefickt.
    »Mullan!« hörte er eine Stimme von links. Vic drehte sich um. In drei Schlangen standen die Feute vor der Bar an, wie immer Freitag abends, und aus einer, drei Gläser verschiedener Biere balancierend, kam Chris Moore auf ihn zu, ein Musikjournalist, der ihn früher mal

Weitere Kostenlose Bücher