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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Der Zyniker in ihm war meist zurückgedrängt, wenn er mit Emma sprach, aber er existierte trotzdem noch und sagte ihm jetzt, daß sie wahrscheinlich bloß sehen wollte, wie er reagierte, wie er sich verhielt, wenn sie in Gefahr war.
    »Wo ist das Royal Brompton?« fragte er.
    »In Chelsea.«
    »Und du wirst dich nicht wieder verirren, wenn du hinfährst...?«
    »Nein.« Sie lachte. »Ich weiß, wo es ist. Ich erinnere mich, daß ich es damals sah, als ich in Kensington Gardens war.« Sie schwiegen; die Erinnerung war noch frisch und überwältigte sie beide — wie eine verfrühte Sehnsucht nach alten, besseren Zeiten. Denn so elektrisierend ihre Affäre auch noch war, die Leidenschaft jener ersten Woche würden sie vielleicht nie wieder erreichen. Und wie zur Bestärkung fuhr Emma fort: »Jetzt finde ich es manchmal komisch, wenn ich daran zurückdenke. Ich war wirklich ganz außer mir, und meine Gefühle kamen mir so echt vor. Und jetzt — jetzt ist mir das alles ein bißchen peinlich.«
    »Entschuldige«, sagte Vic. »Sprichst du über uns oder...?«
    Sie lachte wieder. »Nein, Liebling. Nicht über uns.« Er hörte, wie sie tief Luft holte. »Ich werde es dir beweisen. Ich glaube wirklich nicht, daß ich es morgen schaffen kann, aber nächsten Dienstag — ich weiß, von Chelsea bis Herne Hill ist es ziemlich weit, aber ich kann bestimmt trotzdem für ein oder zwei Stunden kommen. »Wenn...«, sie zögerte, fiel in einen anderen Ton, »falls du mich immer noch sexy findest mit einem Hirntumor.«
    »Emma!« Vic war schockiert. So was war er nicht gewohnt. Normalerweise war er es, der die Schocker brachte. Aber nicht nur deswegen war er alarmiert, mit Schreck kam ihm in den Sinn, was er über die Symptome von Hirntumoren wußte. »Sag das nicht. Bitte sag so was nicht. Ich könnte es nicht ertragen...«
    »Ich mache nur Spaß, Liebling. Mach dir keine Sorgen.« Er meinte, eine winzige Spur Befriedigung in ihrer Stimme zu hören, oder eher Erleichterung; das waren die Worte, die sie hatte hören wollen. »Manchmal ist es gut, Witze über Krankheiten zu machen. Kennst du Iris Murdoch?«
    »Nicht persönlich...«
    »Quatschkopf ! Du weißt, daß sie Alzheimer hat?«
    »Ja.«
    »Irgendwo hab ich gelesen, daß sie sich jede Teletubbies-Sendung anguckt. Sie ist ganz wild darauf.«
    »Und...«
    »Weißt du, warum?«
    »Weil die Texte so gut sind?«
    Emma lachte. »Nein. Welches Wort fällt am meisten? In den Teletubbies.«
    »Hm, ich weiß, daß ich den ganzen Tag vor dem Fernseher rumhänge, aber ein Teletubbies-Experte bin ich trotzdem nicht, das Programm fängt viel zu früh an für mich.«
    » Noch einmal. Das ist das Wort, das sie am meisten gebrauchen. Das ganze Programm basiert auf Wiederholungen. Deshalb gefällt es Kindern so. Und Leuten mit Alzheimer! Schh. Liebling, schh.« Im Hintergrund hörte Vic den Eröffnungstakt von Jacksons Weinen im Nichts verklingen, so als hätte er gemeint, jetzt sei der richtige Zeitpunkt für ein Geschrei, es sich dann aber anders überlegt. »Als mir das zum ersten Mal auffiel, wollte ich es Joe erzählen, aber ich konnte vor Lachen kaum sprechen bei dem Gedanken, wie die große alte Dame der englischen Literatur ganz verrückt nach Tinky, Winky und Po und den großen Hasen ist. Und du weißt ja, wie Joe manchmal ist, so furchtbar ernst — jedenfalls war er total entsetzt. Aber ich bin inzwischen so an Mums Krankheit gewöhnt, daß ich manchmal glaube, das beste ist, man lacht. Welchen Schutz haben wir denn sonst gegen Krankheit und Tod, außer darüber zu lachen?«
    Vic sagte nichts. Nicht weil seine Gedanken abgeschweift wären, wie sonst oft, wenn andere Leute ihre Ideen ausbreiteten, auch nicht, weil er in Emmas Ton — du weißt ja, wie er manchmal ist, so furchtbar ernst — mehr als eine kleine Spur Zuneigung für ihren Mann herausgehört hatte.
    »Jedenfalls mach dir keine Sorgen, Liebling. Ich bin wirklich sicher, daß es nichts Ernstes ist.«
    Vic schwieg, weil er eine Menge über Krankheiten gelesen hatte, besonders über ihre Symptome. Er schwieg, weil er nachdachte — nicht über sich selbst und die Erkenntnis, die ihm plötzlich gekommen war und die seinen Körper mit einer Gänsehaut überzog, nicht einmal über Emma, die immer noch redete, inzwischen über andere, weniger trübe Themen; seine Gedanken waren auch nicht bei dem nichtsahnend in seinem Bett schlummernden Joe oder bei Tess in ihrem Apartment fünf Meilen weiter nördlich, wohin sie um Mitternacht

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