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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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statt in sich immer deutlicher abzeichnende Umrisse und Töne.
    »Mein Hausarzt hat mir einen Termin bei einem Spezialisten gemacht«, sagte Emma. »Im Royal Brompton Hospital.«
    Vic wurde flau im Magen. »Was fehlt dir denn?«
    »Ach, ich weiß es nicht. Ich fühle mich schon die ganze Zeit so schlapp und matt. Außerdem sind meine Drüsen wieder geschwollen, und mein Hals tut weh.«
    »Wie lange geht das denn schon?«
    Sie zögerte. »Seit Neujahr.«
    »Was? Seit zweieinhalb Monaten fühlst du dich krank?«
    »Nicht sehr krank. Nur ein bißchen matt. Ich dachte, es ist vielleicht bloß... der ganze Streß. Außerdem hatte ich schon immer Probleme mit dem Hals.« Wieder zögerte sie. »Aber dann kamen diese Kopfschmerzen dazu. Und dann, letzten Dienstag, als ich auf dem Heimweg war...«
    »Ja?«
    »Habe ich mich verirrt.«
    »Verirrt?«
    »Ja. Ich brauchte fast zwei Stunden, um heimzukommen. Am Ende mußte ich anhalten und jemand nach dem Weg fragen. Ich mußte — Vic, ich mußte vor diesem Mann, den ich fragte, so tun, als wäre ich fremd in der Stadt und wüßte nicht, wo meine Straße liegt.«
    »Ach, das bedeutet bestimmt weiter nichts«, sagte Vic schnell.
    »Ja, wahrscheinlich. O Gott, ich hasse es, krank zu sein. Ich hasse es, alle Welt damit zu belästigen. Deshalb habe ich dir nicht früher davon erzählt.«
    »Du bist nicht krank.«
    »Aber diese Kopfschmerzen sind wirklich schlimm. Im Grunde sind es überhaupt keine Kopf schmerzen, eher Kopfstiche. Sie fangen hinten im Nacken an und stoßen dann hoch bis unter die Schädeldecke, wo sie dann regelrecht — explodieren.«
    Vic sagte nichts; früher wäre er an den genauen Details jeglichen Symptoms jeglicher Krankheit interessiert gewesen, aber jetzt nicht.
    »Im Augenblick hab ich sie wieder, diese Stiche — und mein Nacken tut weh.«
    »Armer Schatz...«, sagte er und spürte wieder diese sonderbare Parallelität, daß er einerseits genau die Worte hinunterleierte, die in so einer Situation angesagt waren, sie aber gleichzeitig tief in seinem Inneren empfand.
    »Oje, tut das weh!« Ihre Stimme klang plötzlich fern. »Vielleicht liegt es bloß daran, wie ich den Hörer halte.«
    »Waas?«
    »Ich halte ihn mit den Kinn. Ich muß die Hände frei haben für Jackson. Warte einen Moment...«
    Vic hörte Geraschel und ein leises, schläfriges Glucksen. Offenkundig legte sich Emma den Hörer ans andere Ohr.
    »Ich weiß nicht, Liebling. Ich bin sicher, es ist weiter nichts«, sagte sie.
    »Hast du Joe davon erzählt?«
    »...aber weißt du, bei dem Zustand, in dem meine Mum ist, hab ich immer schreckliche Panik, daß irgendwas Schlimmes mit meinem Kopf sein könnte.«
    »Emma? Hast du es Joe erzählt?«
    »Liebling? Vic?«
    »Ja, ich bin hier.«
    Nichts. Dann: »Vic? Ach du meine Güte, die Leitung ist tot.«
    »Nein, ist sie nicht. Ich bin hier. Em...«
    Dann hörte er das langgezogene Surren des Besetztzeichens. Vic legte den Hörer auf und versank in jenes geistige Vakuum, jene tote Zeit, wenn man darauf wartet, daß der andere zurückruft. Er überlegte gerade, ob er sie anrufen sollte, dachte dann aber an den schlafenden Joe, und dann klingelte das Telefon.
    »Liebling?«
    »Hallo?«
    »Die Leitung war unterbrochen. Entschuldige, daß es gedauert hat, aber ich habe Jackson wieder ins Bett gebracht.«
    »Aber bei mir war die Leitung in Ordnung, ich habe dich ganz deutlich verstanden.«
    »Wirklich? Na egal. Ich glaube, ich sollte mich jetzt wieder hinlegen — morgen wird ein harter Tag.«
    »Um wieviel Uhr hast du den Termin?«
    »Um halb drei. Ist das nicht schrecklich — mitten an unserem Tag!« Sie seufzte. »Unserem wundervollen Dienstag — und es kommt noch schlimmer: Nächsten Dienstag muß ich wieder hin, um die Untersuchungsergebnisse abzuholen.«
    »So ein Mist!« Vic ging ein Gedanke durch den Kopf — ein Ehemann-Gedanke. »Sollte nicht lieber jemand mit dir gehen — möchtest du, daß ich mit dir komme?«
    Aus ihren nächsten Worten meinte er ein trauriges Lächeln herauszuhören. »Vic. Das wäre schön. Aber ich fürchte, das wäre keine sehr gute Idee.«
    »Geht Joe mit dir?«
    Sie zögerte. »Er weiß von nichts.« In der Leitung war ein Knacksen zu hören. »Ich will es ihm lieber nicht erzählen, solange ich nicht sicher weiß, ob mir wirklich etwas fehlt. Er macht sich immer gleich solche Sorgen.«
    »Na gut...«, sagte Vic und fragte sich, warum sie ihn auserkoren hatte, warum sie es ihm erzählte — ob seine Sorge ihr egal war.

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