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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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dem Hals geschrien.«
    »Wirklich?« Emma, die die letzten Stunden so mit Sorge um sich selbst beschäftigt war — während ihres Herumirrens in den Straßen hatte sie wirklich um ihr geistiges und körperliches Wohl gefürchtet—, empfand die paradoxe Erleichterung, die es bedeutet, wenn man sich plötzlich um jemand anderen sorgt.
    »Ja.« Tonis Gesicht legte sich in Falten, dann glättete es sich, so als hätte sie plötzlich eine Idee. »Vielleicht ist das der Grund, warum Jackson so war.« Emma stellte den Kopf schräg, verstand nicht. »Vorher waren Sie noch nie so spät. Babies sind so. Sie lieben ihre Gewohnheiten. Vielleicht hat er gespürt, daß etwas nicht stimmt.«
    »Vielleicht...«
    »Obwohl«, sagte Toni und stand auf, »hören Sie ihn?« Gedämpft drang Jacksons Weinen vom Obergeschoß, doch laut genug, daß das Babyphon überflüssig war. »Er hat wohl noch nicht gemerkt, daß alles wieder in Ordnung ist.« Sie lächelte und strich sich übers Haar und Gesicht, ehe sie das Zimmer verließ und mit betont festem Schritt wieder an die Arbeit ging. Nein, er hat es nicht gemerkt , dachte Emma.

VIC

    E s war Montag nacht , oder vielmehr früher Dienstag morgen, als Vic den Anruf bekam. Er lag schon eine Weile wach im Bett, weil er pinkeln mußte. Das gehörte zu den Dingen, die er am meisten haßte: sich mitten in der Nacht aus dem Bett zu quälen, um aufs Klo zu gehen. Er hatte schon öfter darüber nachgegrübelt, wie er das vermeiden konnte. Ein Nachttopf war die naheliegende Lösung, aber das hieß immer noch aus dem Bett steigen. Der beste Ausweg war, dachte Vic — und in seinem Kopf sah er die technische Zeichnung förmlich vor sich eine kleine, mit Schiebevorrichtung versehene Öffnung (am besten eine zylindrische) in den Sprungrahmen und die Matratze zu schneiden, die dann durch Knopfdruck geöffnet werden konnte, so daß eine direkte Verbindung zwischen Nachttopf und urinierendem Penis hergestellt war. Eine andere Möglichkeit wäre, nachts eine Kondomspezialanfertigung zu tragen; in der Spitze müßte ein Loch sein, das den Urin mittels einer Serie von Strohhalmen in den Pott leitete, oder, wenn er genug Strohhalme auftreiben konnte, sogar bis zur Toilette.
    »Vic hier...«, murmelte er, nachdem er auf dem Boden nach dem Telefon herumgetastet und abgenommen hatte. So meldete er sich immer am Telefon, aber jetzt spürte er, wie sein Eierz schneller zu klopfen begann in Vorahnung schlechter Nachrichten.
    »Liebling?«
    »Em?« Seine Stimme klang krächzend, und er blickte auf die beleuchteten roten Zahlen seines Digitalweckers, den er nie auf Wecken stellte. 3.12 Uhr.
    »Hast du geschlafen? Entschuldige, dumme Frage...«
    »Nein. Ich war sowieso schon wach.« Er fragte sich, ob er Emma nicht lieber hätte sagen sollen, daß Tess ab und zu über Nacht bei ihm blieb, zwar selten, aber manchmal tat sie es immer noch, und heute nacht hätte eins dieser Male sein können. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja. Also, ich weiß nicht recht.«
    »Wo bist du?«
    »Unten.«
    Ihre Stimme war wie ein lautes Flüstern. Vic sah Joe vor sich, wie er im Obergeschoß schlief, der Platz neben ihm zerwühlte Laken.
    »Hat Jackson dich aufgeweckt?«
    »Nein. Obwohl ich das sagen werde, falls Joe aufwacht. Ich hab Jackson im Arm.« Vic war leicht beklommen zumute, so wie immer, wenn Emma sich als die coole, effiziente Affärenmanagerin gab. »Hör zu. Es tut mir leid, daß ich dich mitten in der Nacht anrufe, aber ich wußte nicht, wann ich dich sonst erreichen kann.« Sie holte tief Luft, so als ziehe sie süchtig an einer Zigarette. »Ich... ich glaube, ich schaffe es morgen nicht.«
    Vic spürte vor Enttäuschung einen Stich, aber gleichzeitig atmete er innerlich erleichtert auf. »Oh, keine Sorge. Es ist ja schließlich keine Dauereinrichtung.«
    »Nein, das ist es wohl nicht, was? Auf Dauer...«
    Vic wartete und starrte in die Dunkelheit. Trotz Tess’ Protesten war seine ganze Wohnung noch genauso wie an dem Tag, als er eingezogen war: weiße Wände, grauer Teppichboden, Ikea-Möbel. Das einzige, was er manchmal zu verändern erwog, waren die Schlafzimmerwände, denn so weiß, wie sie jetzt waren, wurde der Raum nie richtig dunkel, selbst in den schwärzesten Sydenham-Nächten nicht. Und Vic war manchmal nach Dunkelheit in der Nacht. So wie jetzt, denn zum ersten Mal sah er die problematische Zukunft heraufdämmern, ihre Zukunft. Und er hatte das Gefühl, er sähe alles lieber in tiefwarmes Schwarz getaucht

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