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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Benzin übergießen und anstecken. Ihm sein verdammtes selbstzufriedenes Gesicht wegätzen. Um Vic herum kroch der Südlondon-Berufsverkehr vorbei. Von hoch oben aus ihren Riesenlasterkabinen guckten Männer im Vorbeifahren neugierig auf seine Verzweiflung herab. Bitte, spring an, flehte Vic. Bitte. Ich war so geduldig mit dir. Habe ich nicht eine kleine Belohnung verdient?
    Er trat wieder auf den Kickstarter und gab Gas. Nichts: nicht einmal das Stottern und Rasseln wie vor ein paar Minuten noch. Vic blickte den vorbeifahrenden Autos nach und wünschte sich verzweifelt, an ihrer Fortbewegung teilzuhaben — sich nur von hier zu entfernen! Normalerweise war eine Panne wie diese — wenn man von irgendwo wegfährt, statt irgendwohin zu wollen — kein Problem. Man braucht bloß dahin zurückgehen, wo man gerade war, und abzuwarten. Eine solche Panne konnte sogar ihre Vorteile haben, weil sie den Spaß noch ein bißchen verlängerte. Aber das konnte Vic heute nicht tun: Er konnte nicht zurück ins Rock Stop.
    Er fühlte sich schutzlos, so wie er da in der Vorhölle direkt neben dem Bordstein stand, dem Niemandsland zwischen Fußgängern und Gasgebern. Mit großer Kraftanstrengung hievte er die Lambretta von ihrem Hauptständer hoch, ihm kam es vor, als mache sie sich absichtlich schwer, und schob sie ein Stück, erst langsam, dann schneller; nach einer Weile ließ er die Kupplung kommen, und der Motor stotterte leicht. Vic gab noch etwas Gas: Ehe er aufspringen konnte, machte der Roller einen Satz nach vorn und kugelte ihm dabei fast den rechten Arm aus. Als nächstes bekam Vic nur noch mit, daß er mit dem Rücken auf dem Pflaster lag. Ein Stück von ihm entfernt blockierte die umgekippte Lambretta den Dulwich Road-Verkehr, ihre Räder drehten sich wie wild, wie die Beine eines sterbenden Insekts.
    »Was für ’ne Zirkusnummer probierst du denn da aus, du Arschloch!« schrie ihm ein rotgesichtiger Mann aus dem Fenster seines schwarzen VW Golf zu. Vic hangelte sich hoch und beachtete den Mann überhaupt nicht. Wenn ihm jemand aggressiv kam, klinkte er sich problemlos auf sein Vom-anderen-Planet-Sein ein. Er spürte das Brennen der Schrammen und Abschürfungen an seinen Beinen und Ellbogen. Schnell bückte er sich, um den Roller hochzuheben, ehe er wieder absoff — aber da standen die Räder plötzlich still und mit ihnen der Motor.
    Vic schnappte den Roller mit beiden Händen und zerrte ihn schnaufend hoch. Als er den Kickstarter treten wollte, merkte er, daß er durch den Sturz nach hinten unters Trittbrett verbogen war.
    »Scheiße!« schrie er. »Scheeeeeiiiiiißßßßeee!«
    »Entschuldigung«, sagte ein Stimme. Vic drehte sich um: Eine dunkelhäutige Frau, das Gesicht eingemummelt in eine dieser Flohmarktpelzkapuzen, stand neben ihm auf dem Bürgersteig und sah ihn an.
    »Ja?«
    »Ist das eine LD?«
    Vic betrachtete das Objekt seines Hasses. »Ja.«
    »Wie alt ist sie?«
    »Wie alt? Baujahr 1959.«
    »Aha...«, sagte sie, umkreiste die Vorderseite und musterte den Roller mit Kennerblick. »Ich habe eine LC 1957.«
    Vic war verdutzt. Seine Wut verrauchte, und er sah sich die Frau genauer an. Interessant, dachte er. Und nicht schlecht: hatte irgendwas von Natalie Wood an sich. Vielleicht sollte ich einsteigen auf das Thema, dachte er, so tun, als sei ich ein größerer Rollerfan als ich bin... doch dann zuckte er innerlich zusammen, erschrocken — sogar er war erschrocken — , wie schnell er umschwenken konnte.
    »Soll ich Sie anschieben?« fragte sie. »Meine springt mit einem Schubs manchmal an.«
    »Ähhmm... jaah.« Er schwang sich auf den Sitz und machte den Helm unterm Kinn fest. Vic trug einen altmodischen weißen ohne Klappvisier.
    »Warten Sie eine Sekunde...«, sagte er.
    »Okay.« Sie ging nach hinten und faßte mit ihren behandschuhten Händen an den Beifahrergriff.
    »Ehhm... ehe Sie anfangen«, sagte Vic und drehte sich um, »das ist sehr nett von Ihnen.«
    »Danke«, sagte die Frau lässig.
    »Nur weil ich mich ja hinterher nicht mehr bedanken kann. Wenn er anspringt, kann ich nicht mehr anhalten. Sonst säuft der Motor vielleicht wieder ab. Ich muß...«
    »Schon gut. Winken Sie halt.«
    Vic lächelte und nickte. Die Frau guckte sich um: Es gab gerade eine kleine Lücke im Verkehr. Sie begann zu schieben, und der Roller stimmte ein verheißungsvolles Tuckern an, das schneller wurde, je fester sie schob. Vic holte tief Luft und ließ die Kupplung kommen. Der Motor ruckelte leise, und als er den

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