Was man so Liebe nennt
lächelte.
»Entschuldige...«, sagte er und reichte Marian das Clipboard. Marian nahm es lächelnd entgegen und ging zur Tür. Joe sah ihr nach und überlegte, ob sie vielleicht die Frau aus seinem Traum war, die Frau, mit der er sich angefreundet hatte und die er insgeheim begehrte. Als nächstes sinnierte er, ob vielleicht die Wissenschaft schuld daran war, daß sein sexueller Horizont so begrenzt war — in seiner Arbeitsumgebung begegnete er nur Frauen, die formlose weiße Kittel trugen. Und er überlegte noch etwas.
»Marian?« rief er ihr nach.
Sie drehte sich um. Ihr lockiges, fast krauses Haar war natürlich hochgesteckt, so wie es bei langem Haar in einem Labor sein muß. Joe schoß plötzlich das Bild durch den Kopf, wie es ihr über die Schultern fallen würde, wenn sie es offen trüge.
»Wenn ich eine dieser Proben zurückverfolgen wollte, wie würde ich das anstellen?«
»Zurückverfolgen?«
Joe sah sie verlegen an und zog sich am Ohrläppchen. »Wenn ich etwas mehr über den Patienten erfahren wollte.«
Marian riß entgeistert die Augen auf. Sie wußten beide, daß dies dem Berufsethos widersprach. Sie runzelte die Stirn; aber als sie dann auf das Clipboard hinabblickte, waren die Falten auf ihrer Stirn eher nachdenklich als mißbilligend. »Hmmm...«, sagte sie und ging wieder zu Joe zurück, »du könntest den Code durch Medisearch laufen lassen.«
»Würde das funktionieren?«
»Vielleicht. Um welche Probe geht es?«
Joe zeigte darauf, und sie blickte auf das Kästchen. Ein schwacher Duft umwedelte seine Nase, der leiseste Hauch von Parfüm. Gott weiß von was für einem, dachte Joe. Welche Welten trennen mich doch von der Sorte Männern, die bestimmte Parfüms erkennen.
»Hmmm«, sagte Marian. »Royal Brompton. Ja. Ich glaube, das dürfte kein Problem sein. Unsere Computer sind mit deren vernetzt, damit wir Daten abrufen können.«
Sie schwenkte herum und tippte auf der Tastatur, die auf der linken Seite ihres Schreibtischs stand. Eine Grafik erschien auf dem Schirm: die Worte Medisearch (tm) in Fettdruck vor gelbem Hintergrund. Am unteren Rand der Grafik fuhr ein winziger Cartoon-Ambulanzwagen entlang, dessen Blaulicht beim Fahren Teile des Hintergrunds beleuchtete. Spaß mußte wohl bei allem sein, dachte Joe.
Marian gab flink und gekonnt weitere Befehle ein, und Joe spürte einen Stich, einen Ich-fühl-mich-alt-Stich. Er selbst hatte sich nie mit Computern anfreunden können: Er gehörte zu der Generation von Biochemikern — höchstwahrscheinlich der letzten — , für die immer noch das Mikroskop und nicht der Computer, das Hauptinstrument war. Ein Dialogfenster erschien auf dem Schirm. Marian tippte einen Zugangscode ein und drückte auf Return. Der Computer klickte und surrte mürrisch: dann ein Glockenspiel, ein Akkord, ein Cyber-Willkommensgruß.
»Wir sind drin«, sagte sie mit einem kleinen, selbstzufriedenen Nicken. »Wie war der Probencode noch mal?«
Joe sah auf dem Clipboard nach. »G3489...«, sagte er langsam und deutlich, ehe er pausierte. Marian drückte fünf Tasten.
»...Strich. Z14.«
Sie betätigte weitere Tasten und drückte wieder Return. Ihre Fingernägel, sah Joe, waren lang und in jenem Dunkelrot lackiert, das fast braun ist; ein Hinweis auf ihr anderes Ich, darauf, wie sie vielleicht außerhalb des Labors aussah. Alles andere an Marians Äußerem — Haar, Make-up, Kleider — konnte nach der Arbeit blitzschnell verändert werden, dachte er, nur ihre Nägel nicht — die wird sie nicht jeden Abend neu lackieren.
»Was willst du wissen?« fragte Marian, während sie darauf wartete, daß der Computer ihre Anfrage verarbeitete.
»Ach, irgendwelche anderen Informationen. Es ist eine sehr bösartige Geschwulst. Die Struktur des Querschnitts läßt eine Form von Zellvermehrung erkennen, wie ich sie bisher nur selten erlebt habe.«
Marian sah zu ihm auf; die Andeutung von einem Lächeln im Gesicht.
»Und deshalb...«, fuhr Joe fort, der wußte, daß Marians Lächeln ein zweifelndes war, »wäre es für unser Gebiet von Interesse, mehr über diesen Fall zu wissen. Schließlich betreiben wir ja immer noch unsere Forschungen hier, weißt du...«
Das Klingeln des Computers unterbrach ihn. Beide sahen auf den Schirm, auf dem jetzt eine Tabelle erschien. In der linken Spalte standen mehrere Codes untereinander, in der rechten waren die durchgeführten Tests aufgelistet und die gewonnenen Ergebnisse. Zehn Zeilen tiefer, fast am Unterrand des Schirms, war die
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