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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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Der Bursche hier war darauf, er stand lächelnd vor einem Weihnachtsbaum und sah bedeutend munterer aus als jetzt. Er hatte den Arm um eine hübsche junge Frau mit aschblondem Haar gelegt, die ein Latzhose trug; auf ihrem Schoß saß ein hübsches kleines Baby. Irgendwie kam die Frau ihr bekannt vor; sie hatte etwas an sich, bei dem Sylvia wohl ums Herz wurde. Sie fühlte sich plötzlich richtig gut: beruhigt, getröstet, vertraut. Wegen des Blitzlichts hatte die Frau rote Augen, aber irgendwie wußte Sylvia, daß sie in Wirklichkeit grün waren.
    Ehe sie Zeit hatte, wieder den Mann anzusehen, reichte er ihr noch ein Foto, schob es einfach über das erste. Auf diesem war auch wieder die junge Frau, aber diesmal hatte sie den Arm um eine viel ältere Dame gelegt. Also die Frau da kenne ich, dachte Sylvia, das wußte sie genau. Die hab ich doch grad neulich erst gesehen. Wann war das wieder gewesen? Der Finger des Mannes wies auf den grauen Kopf der alten Dame.
    »Das bist du...«, sagte er sanft.
    »Aber ja! Natürlich!« rief Sylvia lachend. »Was für ein altes Dummerchen ich doch bin!«
    »Und das ist«, sagte er und ließ seinen Finger zu der jungen Frau weiterwandern, »deine Tochter Emma. Meine...«, und wieder veränderte sich seine Stimme, diesmal klang sie brüchig, »...meine Frau.«
    Sylvia hielt die beiden Fotos nebeneinander und verglich sie, dann musterte sie ihn.
    »Na, du bist aber dünn geworden«, sagte sie. »Aber jetzt komm lieber rein.«
    Sie ging wieder in den Wohnbereich zurück. Der Mann folgte ihr und stapfte vor dem Kamin auf und ab, offenbar war er nervös. So wie Jack damals, erinnerte sich Sylvia, als er zu ihnen nach Hause kam und bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten wollte.
    »Möchtest du eine Tasse Tee?«
    »Nein, danke.«
    »Ich braue einen erstklassigen Earl Grey.«
    »Nein, wirklich nicht.«
    »Wie du willst.«
    »Sylvia...«, sagte er. »Würdest du dich bitte hinsetzen?«
    »Nun...« Sie wollte gerade wieder ihre hochmütige Miene bemühen — was dachte sich dieser Fremde dabei, sie in ihrem eigenen Haus herumzukommandieren — , aber dann fiel ihr ein, daß er ja gar kein Fremder war.
    »Bitte«, sagte er.
    Sie machte ein Gesicht, um auszudrücken, es sei egal, ob sie nun stand oder saß, und setzte sich. Ziemlich dreist pflanzte er sich direkt neben sie.
    »Sylvia...«, begann er, »was ich dir jetzt sage, ist wirklich ernst — sehr, sehr ernst. Und ich weiß ja, daß du in letzter Zeit manchmal ein bißchen durcheinander bist. Deshalb möchte ich, daß du all deine Gedanken zusammennimmst und mir gut zuhörst.«
    Wieder fragte sie sich, wie er dazu kam, so mit ihr zu reden, aber offenbar lag ihm wirklich was auf der Seele, und so nickte sie bloß. Wie vorhin holte der Mann tief Luft und stieß sie wieder aus.
    »Gestern ist ein entsetzlicher Unfall passiert. Emma war mit dem Auto unterwegs — und ist verunglückt.«
    Sylvia lächelte ihn mitfühlend an. »Oje«, sagte sie.
    »Sie ist tot.«
    Sie nickte. Dann schwieg sie lange. »Wurde sonst noch jemand verletzt?« fragte sie schließlich.
    Der Mann verdrehte die Augen zum Himmel.
    »Nein... nicht ernstlich... aber darum geht es nicht. Sie ist tot, Mrs. O’Connell. Emma, deine Tochter, ist tot. Das wollte ich dir sagen, deswegen bin ich gekommen.«
    Sylvia dachte einen Moment nach, dann lachte sie, dasselbe herzliche Mach-keinen-Unsinn-Lachen wie eben, als sie sich ein altes Dummerchen nannte. »Nein! Sie ist doch nicht tot! Jetzt fällt’s mir wieder ein.« Dann, jedes Wort sorgfältig betonend, als spräche sie zu einem Kind: »Emma ist bloß nach London gegangen, weil sie da heiraten will.« Sie streichelte ihm über die Wange. »Du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich weiß, London ist weit weg, aber es gibt ja immer noch das Telefon.«
    »Nein, Mrs. O’ Connell...«
    »So, junger Mann, und jetzt können Sie sich wieder trollen.«
    Das Gesicht des Mannes sah aus, als löse es sich auf. »Bitte, Mrs. O’Connell, ich will es nicht noch mal sagen... Ich will es nicht wieder und wieder sagen... Emma ist tot. Tot. Es ist nicht mal was von ihr übriggeblieben, weil das Auto Feuer fing und explodierte.« Der Mann sah von ihr fort und zum Fenster hin, seine Augen waren feucht. »Verstehen Sie?«
    »Aber ja doch, mein Lieber.«
    Er sah sie wieder an. »O Gott. Warum bin ich nur hergekommen? Was habe ich erwartet?« Und dann lachte er, ein komisches, gottloses Lachen, das ihr gar nicht gefiel. »Es spielt keine Rolle, was ich

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