Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
Vom Netzwerk:
dir erzähle, oder? Ich könnte dir grad so gut sagen, daß ich die Nacht, in der sie starb, mit der Freundin meines besten Freunds im Bett verbracht hab! Und so war es, Sylvia. Genau das habe ich getan. Und jetzt werde ich meine Schuldgefühle deswegen nie mehr los, mein Leben lang werde ich sie mit mir herumschleppen. Aber ob ich dir nun das sage oder daß Emma tot ist, morgen weißt du es nicht mehr. In fünf Minuten hast du es schon wieder vergessen. Dann ist alles weg. Alles wie weggefegt.«
    Jetzt konnte Sylvia ihm überhaupt nicht mehr folgen, hatte aber trotzdem irgendwie Mitleid mit ihm; er wirkte so traurig.
    »Du kannst mir alles erzählen, was du auf dem Herzen hast, mein Lieber.«
    »Kann ich das? O Sylvia. Ich habe sie wirklich geliebt. Ich habe sie so sehr geliebt. So wie ein Mann seine Frau lieben sollte.« Wieder verstummte er, und diesmal fiel sein Gesicht völlig auseinander, Mund, Kinn und alles sackte herab, so wie bei Jerry immer, wenn er sich die Knie aufgeschrammt hatte.
    »Ich war so... so stolz auf sie«, stammelte er, und dann quollen ihm die Tränen hervor, ein Sturzbach von Tränen, wie der Lee, wenn er über die Ufer tritt. Er vergrub sein Gesicht in ihrem langen dunkelblauen Rock, und sein ganzer Körper zitterte. Sie streichelte ihm über den Kopf.
    »Ist ja gut«, sagte sie. »Ist ja gut.« Womit kann ich den armen Jungen bloß aufheitern? überlegte sie. Ah, ich weiß! Das heitert jeden auf. Wie hieß noch das hübsche Lied gleich wieder, das ich neulich gehört hab?

    Zum ersten Mal, seit Emma gestorben war, konnte Joe richtig weinen. Zum ersten Mal flössen ihm die Tränen. Daß er ihrer Mutter von seinen Schuldgefühlen erzählen konnte, auch wenn das ungefähr so war, als hätte er sich dem Wind anvertraut, hatte vielleicht die Schleusen geöffnet. Vielleicht lag es auch bloß an ihrem »Ist ja gut« und daß sie ihm über den Kopf streichelte. So lange war es her, daß er zärtlich gestreichelt worden war. Jetzt weinte Joe, wie er es gestern nicht gekonnt hatte, weil Vic und Tess da waren und ihn in ihrer Gegenwart alle möglichen anderen Gefühle bestürmt hatten. Jetzt weinte er sich die Seele aus den Augen.
    Bei so einem Weinen können einem leicht die Sinne schwinden — wie bei einem Orgasmus, wo man einen Moment jedes Gefühl für die Wirklichkeit verliert, sein Innerstes nach außen wendet und buchstäblich nicht mehr bei sich ist. Und als Sylvia dann das Lied zu singen begann — schön und gefühlvoll — , glaubte Joe im ersten Moment, er hätte vielleicht eine akustische Halluzination.

    Looking out into the morning rain
    I used to feel so uninspired...

    In den Falten von Sylvias kratzigem dunkelblauen Rock und inmitten all der Tränen blitzte in Joes Gesicht plötzlich eine Art Spätzündung auf.

    And when I knew I had to face another day
    Lord, it made me feel so tired

    Jetzt preßte er sein Gesicht regelrecht in den Stoff von Sylvias Kleid. Vor Überraschung waren seine Tränen versiegt, und jetzt, da sie nicht mehr alle seine anderen Sinne auslöschten, bemerkte er, wie muffig Sylvias Schoß roch.

    Before the day I met you ...

    Er sah zu ihr auf, war versucht »dadadadadadaa...« mitzuträllern.

    Life was so unkind...

    Und dann wußte er, was Sylvia tat; er erkannte es an ihrem leeren Blick. Sie wiederholte. Jemand hatte ihr das Lied kürzlich vorgesungen. Es war nicht einfach aufs Geratewohl aus der musikalischen Schatzgrube ihres Unbewußten hervorgeholt. Auch an ihrer Stimme merkte er es, die nicht ihr eigenes »There Was a Girl from Galway Bay«-Gassenhauertimbre hatte. Sylvias Intonation war eine Imitation, aus der Joe eine andere Stimme heraushörte, jene verlorene Stimme, von der er sich gestern so verzweifelt gewünscht hatte, sie auf dem Anrufbeantworter zu hören.
    Er wartete gespannt auf die nächste Zeile.

    Your love is the key to my peace of mind ...

    »Sylvia?« sagte er, aber sie war nicht aufzuhalten.

    ’cos you make me feel,
    Yeah, you make me feel...

    »Sylvia!« sagte er wieder und hielt sie mit beiden Händen an ihren durch die Luft tanzenden Armen fest.
    »Like a natural... natur...«, sagte Syliva, während sie aus ihrer Trance aufwachte. Einen Moment guckte sie wie blind vor sich hin, dann weiteten sich ihre grünen Augen vor Schreck.
    »Wer sind Sie?« rief sie ängstlich. »Warum halten Sie mich fest?«
    »Sylvia, ist Emma vor zwei Tagen hier gewesen?«
    »Was?«
    »Bitte, Sylvia, versuch dich zu erinnern.«
    »Hören Sie auf,

Weitere Kostenlose Bücher