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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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sie nicht wie ihre Mutter endet.«
    Wieder guckte er zum Fenster raus.
    Tess schnalzte mit der Zunge. Der Wagen vor ihnen, ein Ford Mondeo, fuhr an. Zwei Sekunden später leuchteten die Bremslichter wieder auf. Beide schwiegen, nur das Scharren der Scheibenwischer war zu hören, die nach dem kurzen Schauer immer noch liefen. Tess stellte sie ab.
    »Also... ich will ja nicht gemein sein, aber letzten Endes sind die beiden nicht meine Freunde. Es sind deine, Vic. Ich will auch nicht wie eine hartherzige Schnepfe klingen, aber — im Grunde, kannte ich Emma kaum. Wir sind uns nie nahegekommen.«
    »Und Joe...?« fragte Vic. Tess zuckte innerlich zusammen, sollte das eine Anspielung sein? Alarmiert wandte sie den Kopf, sah aber nur Vics Profil, und darin war nichts zu lesen. Sie tat ihre Sorge ab. Sein scharfer Ton lag bestimmt bloß daran, weil es ihn anödete und deprimierte, daß sie mit diesem alten Paarthema anfing, das bei Streits so gern hochkam: Wie der eine die ganze Zeit nur so getan hat, als möge er die Freunde des anderen.
    »Na ja... ich mag ihn. Keine Frage, er ist ein netter Kerl. Er... tut mir sehr leid.«
    Sie war froh, daß Vic weiter geradeaus guckte, denn sie merkte, daß sie rot geworden war.
    »Ich will ja nur sagen, wenn etwas Schreckliches wie das hier Leuten passiert, die, genau besehen, keine engen Freunde sind, dann will man nicht zu tief in all die Emotionen hineingezogen werden.« Zwanzig Autos vor ihnen schaltete die Ampel auf Grün, aber das dadurch ausgelöste winzige Vorankommen hatte keine Auswirkung auf sie.
    »Ich meine, das ist doch einleuchtend, oder nicht? Joe ist dein bester Freund. Also mußt du für ihn da sein. Es ist eine Art Privileg. Der Verhaltenskodex ist so schwierig, wenn jemand stirbt. Besonders, wenn der Leidtragende kein enger Freund ist. Oder irgendwie zwar ein bißchen mehr als ein Bekannter, aber trotzdem kein enger Freund. Ich hatte das schon einmal. Erinnerst du dich, daß ich dir von Gary erzählt habe, meinem Freund aus dem College?«
    »Der, der Aids hatte?« fragte Vic prompt.
    »Ja«, antwortete Tess, ziemlich verblüfft von seiner prompten Antwort; im Grunde war sie überrascht, daß er ihr überhaupt zuhörte, und noch mehr, daß er sich erinnerte. »Na ja... bei ihm war es so ähnlich. Er war mal ein wirklich enger Freund von mir, aber nach dem College verloren wir uns irgendwie aus den Augen. Und als ich dann hörte, daß er Aids hat, war das schlimmste... daß ich nicht wußte, wie ich mich verhalten sollte. Wären wir uns immer noch nahe gewesen, hätte ich an seinem Bett gesessen; und wären wir nur flüchtige Bekannte gewesen, hätte ich ihm vielleicht einen Brief geschrieben, wie leid es mir tut. Aber so saß ich irgendwie zwischen den Stühlen — ich wollte nicht herzlos erscheinen, aber ich wollte mich auch nicht in die Schar jener einreihen, die plötzlich wie die Holzwürmer aus dem Nirgendwo hervorkriechen, sobald sie hören, daß jemand todkrank ist.«
    Sie hielt inne, fragte sich, ob er mit den Gedanken inzwischen wieder woanders war.
    »Ich höre zu«, sagte er, aber danach sah er nicht aus.
    »Na ja... jedenfalls ging es so aus, daß ich ihn ein paarmal besuchte und ihm einmal schrieb. Es war ein sehr schwieriger Brief, und ungefähr ein Jahr später erfuhr ich dann, daß er gestorben war.«
    »Irgendwie... unbefriedigend.«
    Sie sah ihn an. »Ja. Das war es.« Der Gegenverkehr auf der anderen Straßenseite rauschte plötzlich flüssig an ihnen vorbei. Vielleicht sollte ich umdrehen und einen anderen Weg nehmen, dachte Tess. »Es ist so schwer, sich in diesen Zustand hineinzuversetzen. Es ist eine echte Grauzone. Ich glaube, für dich wäre es so ähnlich, wenn beispielsweise dieser Ivan stürbe.«
    Vic schnaubte und sah sie endlich an. »Ivan. Verdammt, nein. Der liegt noch weit unterhalb der Flüchtige-Bekannte-Ebene.«
    »Wirklich? Oh. Das wundert mich. Wer dann?«
    Vic zuckte die Achseln. »Ich habe nur enge Freunde. Alle anderen sind Arschlöcher für mich und gehen mich nichts an.«
    »Sehr charmant!« Sie dachte einen Moment nach. »Nun — und mich geht Emma nichts an.«
    Vic starrte sie entgeistert an. »Was?«
    »Guck nicht so. Ich will nur meinen Standpunkt klarmachen. Emma ist — war — die Frau deines Freunds. Ihr warst du nicht so nahe. Stell dir vor, sie hätte nichts mit Joe zu tun gehabt. Oder du hättest dich vielleicht vor Jahren mit Joe verkracht und dann gehört, sie wäre gestorben oder todkrank.« Die Autophalanx

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