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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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einem Blick durch die offen stehende Eichentür sah er, wie die Leute in den hinteren Reihen die Köpfe wendeten, und ihm wurde klar, wie sehr das Gedröhn in die Stimmung dort drinnen eingebrochen war.
    Er lungerte noch einen Moment vor der Tür herum und machte sich an seinem Helm zu schaffen. Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor, und er mußte blinzeln, spürte, wie die Haut um seine Augenwinkel knitterte, so ausgetrocknet war sie von dem scharfen Wind auf seinem ungeschützten Gesicht. Er wollte noch nicht hineingehen, keine Blicke auf sich spüren, weil er fürchtete, all seine verwickelten Gefühle wären ihm an der Nasenspitze anzusehen. Aber dann kam die Beerdigung zu ihm. Die Türen sprangen weit auf, und der Priester erschien und hinter ihm der Sarg, getragen von Joe und einigen Männern, die Vic nicht kannte, aber wohl zu Emmas weitläufiger irischer Verwandtschaft gehörten. Es waren alles rotbackige, stämmige Männer mit zu viel Haar für ihre Seitenscheitel, und sie alle sahen eher grimmig als niedergeschlagen aus. Vic fiel ein, daß es einige Versuche von seiten Emmas Verwandten gegeben hatte, sie im Tode mittels eines katholischen Beerdigungsrituals in den gläubigen Familienschoß zurückzuholen, was aber vereitelt worden war, weil man sie nicht zur Totenwache aufbahren konnte; ihre Leiche war zu verstümmelt.
    Als die Sargträger an Vic vorübergingen, warf Joe ihm einen halb zornigen, halb resignierten Blick wegen seiner Verspätung zu. Vic machte ein bedauerndes Gesicht, war aber insgeheim froh, daß seine berüchtigte Unzuverlässigkeit als Erklärung herhielt und niemand nach finstereren Gründen suchte. Doch seine Freude dauerte nur eine Sekunde; im nächsten Moment wurde sie durch die schiere Gegenwart des Sargs hinweggefegt, die erbarmungslose Erkenntnis, daß Emma tot darin lag. Diese Greifbarkeit des Todes war wie eine Detonation in Vics Kopf und er sah den Tod plötzlich so wie ein Kind ihn sieht, nicht als Ende allen Seins, sondern als Leben im Sarg: ein Ort grenzenloser Klaustrophobie, eine Unendlichkeit erstickender Dunkelheit. Er konnte dem Bild nicht entfliehen. Der Schock verlieh ihm einen Röntgenblick; ihm war, als könnten seine Augen ohne jede Schwierigkeit die dünne Holzwand zwischen ihm und dem in Satin eingehüllten Körper seiner Geliebten durchbohren. Er konnte dem Bild nicht entfliehen, weil der Tod für ihn keine abstrakte Realität mehr war, so wie für viele geschwätzig darüber philosophierende Intellektuelle, sondern, im reinsten Sinne, etwas Leibhaftiges. Eine Leibhaftigkeit, die noch in ihm lebendig war, ihr Geruch, ihre Haut, ihr Haar, ihre Bewegungen: die Frau, verdammt noch mal, die er gefickt hatte. Es war ihm einfach unmöglich, sich Emma ohne Gedanken daran im Sarg liegend vorzustellen, weil er noch nicht die Gewohnheit abgelegt hatte, die ganze Zeit daran zu denken.
    Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Blick auf ein kleines weißes Blatt Papier oben auf dem Sarg fiel, das für ihn auf den ersten Blick völlig unpassend aussah, wie ein Tischkärtchen für eine Dinnereinladung. Doch dann erkannte er, daß es eine Karte mit Umschlag war, auf dem das Wort »Mummy« stand. Geschockt machte Vic einen Schritt zurück und hielt sich dann, wie ein Zuschauer, abseits vom Zug der Trauernden, die hinter dem Sarg zum Grab gingen und Blumen hinabwarfen. Tulpen, Rosen, Lilien, ganze Sträuße. Keine Pferde, keine Lafette, keine über die Köpfe der Zuschauermenge gereckten Kameras, aber trotzdem wußte Vic, was jetzt geschah. Joe bat Emma — zu spät, in so vieler Hinsicht zu spät — um Vergebung. Vic kam der finstere Gedanke zu applaudieren.
    Schließlich wandten sich seine Augen von der ihm unerträglichen Szenerie ab, und da sah er Tess, die in einem eleganten langen schwarzen Mantelkleid und kleinem flachen Hut im Hintergrund bei denen stand, die keine Blumen warfen. Ihre Augen konnte er nicht sehen, weil ihr Hutschleier darüber hing, aber sie hatte ihr Gesicht in seine Richtung gedreht, und er schätzte, es war vorwurfsvoll. Vic glättete sein Gesicht, eilte zu ihr und reihte sich in die Trauergemeinde ein.

    Es gab eine Leichenfeier. Dieses Zugeständnis hatte Joe an Emmas Familie machen müssen, auch wenn die Zeremonie dann von ganz eigenem Zuschnitt war, irgendwo in der Mitte zwischen einem trinkfreudigen irisch-proletarischen Leichenschmaus und gedämpfter moderner Mittelschichtstrauerfeier. Da gerade Osterferien waren, wurde sie in der Maze

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