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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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zügeln. Er hatte einen jämmerlichen Anlauf in Richtung Trauerkleidung gemacht — seine Hosen, obwohl schwarz, paßten nicht richtig zu seiner Jacke, und darunter trug er einen schwarzen Rollkragenpullover statt Hemd und Schlips. Zusammen mit seiner platten Nasenspitze sah er darin aus wie die Kreuzung aus einem Geheimagenten und einer Muppetshow-Figur.
    »Ich...«, begann Joe und sah aufs Pult hinab, auf das er ein DIN-A4-Blatt gelegt hatte. »Ich...«, er verstummte und blickte hoch. »Tut mir leid, ich bin nicht gut im Redenhalten. Ich hatte mir einiges aufgeschrieben, aber ich finde, das alles wurde inzwischen von anderen besser gesagt.« Er nahm seine Hand vom Ohr, faltete das Blatt ordentlich zusammen und steckte es in die Innentasche seines Jacketts. »Ähhm... als erstes möchte ich Sonia danken, daß sie heute sozusagen die Gastgeberin war und geholfen hat, alles zu arrangieren.«
    Zustimmendes Gemurmel; irgend jemand klatschte, zweimal, wurde dann unsicher und ließ es sein. Joe wirkte einen Moment, als wisse er nicht, ob er weiterreden sollte. Seine Finger fuhren an sein Ohrläppchen.
    »Das, worüber ich gern sprechen würde... hat mit unserer Ehe zu tun. Gerade eben, während ich zuhörte, kam es mir in den Sinn. Verzeiht mir also, wenn es vielleicht ein bißchen verworren klingt oder unangemessen erscheint.« Er holte tief Luft. »Nun, es geht um folgendes. Einige unserer Freunde, die heute hier an diesem Pult standen, sprachen davon, wie gut Emma und ich zusammenpaßten, wie sehr wir füreinander geschaffen schienen. Das ideale Paar, wie Nicole sagte. Und eine Zeitlang waren wir das auch.«
    Von hinten war ein Husten zu hören, dessen Echo sich beklommen durch die Halle schlängelte.
    »Aber ich finde, zu einem Zeitpunkt wie diesem ist es wichtig, die Wahrheit zu sagen. Nicht nur ein rosiges Bild zu malen, damit wir alle ungetrübte Erinnerungen haben.« Joe legte die Hände auf das Pult wie ein Prediger. »Ich glaube, damit würde man«, seine Augen schlossen sich, » der Verstorbenen keinen guten Dienst erweisen.«
    Er öffnete die Augen wieder; einige in den Reihen guckten beklommen ihre Partner an.
    »In den ersten Jahren unserer Ehe und die beiden Jahre davor, als wir zusammenlebten, waren wir zweifellos sehr, sehr glücklich. Ehe ich Emma kennenlernte, hatte ich mit anderen Frauen Beziehungen, manchmal sogar recht dauerhafte. Eine Freundin zu haben war für mich eine Selbstverständlichkeit. Aber erst als Emma und ich uns näherkamen, erfuhr ich, was es heißt, wenn eine Frau einen glücklich macht, einen ihre Gegenwart, oder auch nur der Gedanke an sie, in ein dauerndes Hochgefühl versetzt.«
    Vic spürte, wie er abzudriften begann; seine Augen wanderten die Reihe entlang, an deren Ende Toni saß, die Jackson in einem Tragetuch hin und her wiegte. Gegen seinen Willen, und sich dafür verfluchend, blitzte sie ihm nackt durch den Kopf.
    »Aber seit ungefähr einem Jahr nahmen die Dinge eine Wendung zum Schlechten hin, jedenfalls gemessen an dem, wie es vorher war. Warum, das weiß ich immer noch nicht. Wie dem auch sei, hier ist nicht der Ort, ins Detail zu gehen, aber ich sage das alles nicht aus Respektlosigkeit, sondern weil ich im Augenblick — und vielleicht auch weiterhin — davon überzeugt bin, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der Verschlechterung unserer Ehe und dem Tod meiner Frau.«
    Vic guckte wieder nach vorn und sah seinen Freund an; während er den Kopf drehte, bemerkte er, daß Tess rot geworden war. Wollte sie etwa weinen? Das würde ihn überraschen, denn bis jetzt hatte sie keine Träne vergossen.
    »Was ich sagen will, ist — nun, etwas Ähnliches wie die Leute manchmal sagen, wenn ihre Eltern gestorben sind, mit denen sie sich überworfen hatten: Wie sehr sie sich wünschten, sie hätten die Sache ins reine gebracht. Manchmal sind es auch nur Dinge, die ungesagt blieben. Und nichts wünscht man sich dann mehr, als daß man sie ausgesprochen hätte, solange der Betreffende noch lebte.«
    Vic sah zu Sylvia hin. Sie blickte angestrengt in einen Winkel der Bühne.
    »Aber bei Eltern weiß man, zumindest wenn sie in einem bestimmten Alter sind, daß man irgendwann reinen Tisch machen muß.« Er verstummte, hob eine Hand vom Pult und zwickte sich in die Augenlider. »Aber Emma war meine Frau «, fuhr er fort, zwang seine Augen wieder auf und sah aus, als würde er vor Müdigkeit gleich umfallen, »und so ließen wir die Dinge einfach laufen, weil man ja noch so viel

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