Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
eine Gefährtin gefunden hat, macht ihn nicht redsamer. Mir schien bei meinem letzten Besuch, als habe er an Gewicht zugelegt, und zu meiner großen Überraschung schlug er mir vor, einen Wein zu öffnen, dem er offensichtlich mehr zuspricht als sie, und sie wiederum mehr als ich.
Wirklich Neues erfahre ich also nicht mehr von ihm und lasse mittlerweile mehr Zeit zwischen meinen Reisen nach Ré vergehen.
Umso erfreulicher, dass Monsieur Wilton-Smith die Nachforschungen mit der ihm eigenen Energie und Umsicht vorangetrieben hat. Der von ihm gewählte Leiter der Expedition ist ein ehemaliger Angehöriger der British Indian Army mit eisernem Charakter, der außerdem Goldsucher war und nebenbei mit Sandelholz schmuggelte.
Am 1. Februar 1864 erreichte die von mir finanzierte Expedition auf einem gecharterten Schiff «Pelletier Beach», wo man Narcisse am 3. Februar 1861 aufgefunden hatte. Man sollte erwarten, dass die Wilden bei ihren Wanderungen einem Jahreszyklus folgen, und deshalb waren Ort und Datum entsprechend gewählt. Es war niemand zu sehen.
Während der folgenden Tage stellte eine Gruppe von sechs energischen, kräftigen und gut bewaffneten Männern in alle Richtungen Erkundungen an. Das größte Problem war neben der Dauerhitze und den Insekten, an welche die Australier gewöhnt sind, Wassermangel, oder sollte ich besser sagen, die vollständige Abwesenheit von Wasser. Es war kein Wasserlauf oder Tümpel zu entdecken. Jeder der Männer musste von Anfang an alle Reserven bei sich tragen, und das Gewicht beschränkte jeden Ausflug auf vier Tage. Die Karten, die man anfertigte, wurden immer genauer. Sie legten einen Vorrat anProviant an, der mit einem Fähnchen gekennzeichnet und mit Glasschmuck versehen wurde – aber immer noch kein Anzeichen von Wilden. Nach Ablauf eines Monats kehrten die Suchenden wie vereinbart nach Sydney zurück. Monsieur Wilton-Smith schickte mir einen kurzen Bericht, auf den drei Wochen später ein ausführliches Protokoll mit einer detaillierten Kostenaufstellung folgte. Er hatte überdies für jede nützliche Information eine Belohnung in Aussicht gestellt, die er aus eigener Tasche bezahlen wollte. Diese Freundlichkeit lockte viele Gauner, deren Hinweisen sorgsam nachgegangen werden musste, doch blieb alles ohne Erfolg.
Im Oktober 1864, August 1865 und Februar 1866 wurden weitere Versuche unternommen, teils von «Pelletier Beach» aus, teils von anderen, mehr im Norden oder Süden befindlichen Anlegestellen. Mittlerweile ist der ganze Küstenabschnitt auf einer Länge von fünfzig und ins Landesinnere bis zu fünfzehn Meilen erforscht. Dieser karge Landstrich aus Dünen, Busch, einigen Mangrovenwäldern, der vormals bis auf den Küstenstreifen mehr oder weniger unbekannt war, birgt nun keine Geheimnisse mehr. Man entdeckte einige mittelmäßige Kohlevorkommen und hegte Hoffnungen, auch Eisenerz zu finden. Mir scheint, dass dieses methodische Vorgehen eine Aufnahme meines Freundes Wilton-Smith als außerordentliches Mitglied in unsere Gelehrtengesellschaft rechtfertigt, und ich glaube, diese Auszeichnung würde ihn sehr ehren.
Man sichtete einige Stämme und befragte sie mithilfe eines Wilden aus dem Norden, der ein wenig Englisch sprach und auf Wunsch des Leiters der Expedition zugegen war. Es gab weder Hinweise auf einen weißen Wilden noch auf seine Mischlingskinder – auch wenn Wilton-Smith seinerseits Zweifel an der Kompetenz und Rechtschaffenheit des Dolmetschers geäußert hat.
Dass bislang keine Ergebnisse vorliegen, entmutigt mich nicht, und man darf das nicht als Scheitern auslegen. Ich mache weiter.Irgendwo in der australischen Wüste müssen sich diese Kinder befinden. Sie sind jetzt zehn und dreizehn Jahre alt. Wir werden sie finden.
Auch die Gleichgültigkeit des Vaters erstaunt mich nicht. Mehrmals habe ich Narcisse den Sinn und Zweck meiner Bemühungen, die ich für ihn unternehme, erklärt und auch meinen Wunsch, dass er Sohn und Tochter wiedersehen möge. Er schaut mich nur an, lächelt und antwortet nicht. Ich kenne ihn zu gut, um mich von dieser Gleichgültigkeit täuschen zu lassen. Australien lässt ihn verstummen, das ist alles. Doch wenn ich mit seinen Kindern in Ré eintreffen würde und er sie in seine Arme schließen könnte – welch erstaunliche Gespräche wären da zu vernehmen! Und wie viel würden mir die Fortschritte der kleinen Mischlingskinder über die Strecke verraten, die ihr Vater vor ihnen zurückgelegt hat!
Doch trotz meines
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