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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und hatte ein Messer. Der Sieg war ihm sicher. Aber was dann? Wenn er sie vertrieb, tötete oder verletzte, wer würde ihm Wasser bringen? Von wem würde er erfahren, wie man in diesem merkwürdigen Land Nahrung fand? Sie hatte sich als Jäger behauptet und die Echse erlegt. Irgendwann würde es also etwas zu essen geben. Es war klüger abzuwarten, Gewalt nutzte nichts. Resigniert steckte er sein Messer wieder ein und legte sich in den Sand.
    Als die Sonne langsam unterging, stand die Alte auf und begab sich an den tiefsten Punkt der Senke. Dort, wo er in der feuchten Erde vergeblich nach Wasser gesucht hatte, gedieh eine Art Kresse mit hellgrünen Blättern. Sie ging auf die Knie und grub mit beiden Händen eine Zwiebel aus. Sie trennte das Grün ab, legte die Zwiebel zurSeite und begann, ein Stück weiter links erneut zu graben. Bald lag neben der ersten eine weitere Zwiebel, dann eine dritte.
    Er war ihr gefolgt und wollte mitgraben, um ihr zu helfen, um sich nützlich machen, um beschäftigt zu sein, um mehr Essen zu haben. Doch als er sich zum Graben neben ihr niederließ, hielt sie ihn mit unmissverständlicher Geste zurück und bedeutete ihm fortzugehen. Er zögerte. Sie wiederholte die Geste und kreischte dabei einen Befehl. Stumm war sie also nicht … Die Aussprache klang anders als alles, was er bisher gehört hatte, es zischte und klackte zwischen den Silben. Er insistierte nicht weiter, sondern trat einige Schritte zurück und sah ihr weiter beim Ernten zu. Er hatte sein Leben lang gehorcht, seinem Vater, dem Pfarrer, dem Schulmeister, dem Bootsmann, dem Kapitän. Er wusste nichts anderes zu tun, als der Alten zu gehorchen. Seine Kameraden hätten ihn ausgelacht, wenn sie gesehen hätten, wie er vor ihr kuschte.
    Warum hatte sie nicht schon früher gesprochen? Natürlich konnten sie sich nicht verständigen, aber was hätte er nicht dafür gegeben, wenn sie etwas auf seine Fragen erwidert hätte … Sie hatte den Mund nur aufgemacht, um ihn zurechtzuweisen. Hätte er in der umgekehrten Situation nicht versucht, eine Unterhaltung zu führen, es mit einfachen Worten probiert, etwas nachgespielt oder wenigstens ein Lächeln aufgesetzt?
    Sie wusste also nichts mit ihm anzufangen. Aber warum hatte sie ihm dann das Leben gerettet?
    Als ihr der Zwiebelhaufen ausreichend groß erschien, nahm sie einen dünnen Ast, durchbohrte jede einzelne und zog ihre Ernte auf einer Liane auf, die sie über ihre Schulter schlang. Wortlos ging sie zu der Stelle von vorher zurück, warf alles neben die Echse in den Sand und kümmerte sich nicht weiter darum. Er war ihr gefolgt, weil er geglaubt hatte, jetzt, da neben dem Fleisch auch für die Beilage gesorgt war, würde es etwas zu essen geben.
    Er musste noch eine Stunde länger warten, währenddessen ihnder Hunger quälte. Als es Abend wurde, entfachte sie ein Feuer aus Spänen, die sie entzündete, indem sie zwei Steine aneinanderrieb. Die Zwiebeln ordnete sie im Sand direkt um die Kochstelle an. Dann legte sie die Echse in die Mitte der Glut, warf noch ein paar trockene Äste darauf und ließ das Feuer brennen, bis es erlosch.
    Es war bereits dunkel, als sie die Echse, welche in der eigenen Haut gegart worden war, aus der Glut nahm. Mit einem scharfen Stein trennte sie die Füße ab, öffnete den Bauch und entfernte mit ein paar geübten Handbewegungen weißes Fleisch. Sie reichte ihm ein Stück – er bemühte sich zu ignorieren, dass es sich um einen Schenkel handelte –, und er griff hastig und zitternd danach, schob sich den Brocken in den Mund. Das sehnige Fleisch hatte keinen bestimmten Geschmack, es blieb nur ein leichter Nachgeschmack von Asche. Er schlang seine Portion hinunter und lutschte an den Knochen und Sehnen. Sie bedeutete ihm, sich aus der Glut zu bedienen. Die Zwiebeln waren ein wenig angekohlt, er griff nach einer und knabberte an ihr, auch wenn er sich beinahe die Finger und Lippen dabei verbrannte. Sie war wie eine halb rohe weiße Rübe und hatte eine bittere Süße. Fleisch und Beilage fehlte das Salz. Wenigstens würden ihm diese seltsamen Speisen den Magen füllen. Er nahm eine weitere Zwiebel und streckte die Hand nach mehr Fleisch aus. Sie reichte ihm ein weiteres Stück und ließ ihn so viele von den unbekannten Rüben nehmen, wie er wollte. Sie aß ebenfalls, schweigend. Dreimal bat er um Nachschlag, und dreimal gewährte sie ihn ihm. Doch als er seine Hand nach den Eidechsenresten ausstrecken wollte, die im Sand lagen, bellte sie wieder

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