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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Archiven. Selbst sehr lückenhafte Informationen oder vage Gerüchte zu diesem Thema würden mir weiterhelfen: Wie haben andere Schiffbrüchige überlebt? Auf welchen Wegen und mit wessen Hilfe sind sie wieder in ihr früheres Leben zurückgekehrt? Waren sie anschließend in der Lage, ihre alte Existenz fortzuführen, oder wirkte der Aufenthalt unter Wilden zu sehr nach? Was ist aus ihnen geworden? Ihre Biografien würden mir erlauben, Narcisse besser zu unterstützen.
    Ohne die Ergebnisse der Nachforschungen abzuwarten, welche Sie vielleicht gütigerweise einleiten werden, fahre ich mit meinem Unterricht in Sprache und Lebensstil fort und hoffe, Ihnen meinen Zögling vor Jahresablauf vorstellen zu können.
    Hochachtungsvoll …

3
    Das Feuer auf der anderen Seite der Lichtung wühlte ihn auf. Seine Einsamkeit war schlimmer als seine Erschöpfung, und das Feuer wirkte wie ein Versprechen.
    Ohne die darum versammelten Gestalten zu bemerken, ließ er sich vor dem Tümpel auf die Knie fallen und dann kopfüber ins grüne Wasser. Lange weiche Pflanzen streiften sein sonnenverbranntes Gesicht, und er trank, bis ihm die Luft ausging.
    Ihm kamen die Ermahnungen des Steuermanns in den Sinn: Fässer immer aus Fließgewässern füllen, abgestandenes Wasser nur notfalls mit an Bord nehmen und vor dem Trinken lange abkochen. Was für unsichtbares Getier, was für Krankheiten mochten in dieser brackig schmeckenden, von Pflanzenpartikeln durchsetzten Brühe sein? Es war ihm gleichgültig.
    Schließlich erhob er sich wieder und blickte hinüber. Kein Dorf, keine Hütte, sondern nur eine Ansammlung von etwa dreißig Wilden. Unter den Bäumen spielten nackte Frauen mit Kleinkindern. Die Männer, ebenfalls nackt, hielten sich in der Nähe des Feuers auf, wo ein Stück Wild in der Glut garte und einen angenehmen Duft nach Fett und verbranntem Haar verbreitete. Die Sonne stand jetzt tiefer, und es war nicht mehr so heiß wie zuvor. Durch das Unterholz tobten drei nackte Kinder. Die Alte tappte ohne erkennbares Ziel umher.
    Langsam ging er um das Wasserloch herum und näherte sich bis auf eine Entfernung, die ihm respektvoll erschien. Er sah einen alten Mann, den er für das Oberhaupt hielt, und versuchte selbstsicher zu klingen, als er sich an ihn wandte:
    «Ich bin Matrose auf der Saint-Paul. Mein Schiff wird mich wieder holen. Wenn ihr mir zu essen gebt und mich ans Meer zurückbringt, bekommt ihr Geschenke: Halsketten, Spiegel, Nägel, Hämmer. Und ich werde allen sagen, dass du ein intelligenter und vernünftiger Anführer bist.»
    Ihm war klar, dass niemand sein Kompliment verstand, aber er hoffte, dass sein Tonfall und sein sicheres Auftreten entsprechenden Eindruck machten. Der Alte blickte ihn einen Moment lang an, dann setzte er sich und begann, einen Ast zu schälen. Spiele und Unterhaltungen, welche die Wilden kurz unterbrochen hatte, wurden wieder aufgenommen, und niemand schien sich weiter um ihn zu kümmern. Er lief zwischen ihnen umher und versuchte, sich an ihre Gesichter mit den stark geschwungenen Augenbrauen zu gewöhnen, an ihre dunkle, grau schimmernde Haut, an ihre nackten, tätowierten Körper, an den Geruch von Fett und Staub.
    Die Wilden waren alle kleiner als er, die Männer um mindestens einen Kopf. Ihr robuster und untersetzter Körperbau ließ sie sehr kräftig erscheinen. Die Frauen kannten keine Scham und hielten ihre Körper völlig unbedeckt – er musste kurz an die Hure in Kapstadt denken, die ihm im Vergleich wie eine umwerfende Schönheit vorkam. Außer einem Knochensplitter oder einem Stück Muschel in der Nase trugen sie keinerlei Schmuck. Sie waren nur an den Armen und Oberschenkeln tätowiert, während die Männer am ganzen Körper Tätowierungen trugen.
    Langsam erkundete er das Lager und gab sich dabei selbstsicherer, als er sich tatsächlich fühlte. Unter den größten Bäumen war hier und da ohne erkennbare Ordnung Streu aufgeschüttet. Einige an die Stämme gelehnte Äste bildeten darüber so etwas wie ein Dach. Wardas hier eine provisorische Lagerstätte, ein Jagdunterschlupf? Wo waren ihre Häuser? Im Sand lagen einige Gegenstände verstreut, Wassersäcke, grüne Steine, speerähnliche dünne Äste, die gegerbte Haut eines Kleintieres, aufgerollte Lianen … Er passte auf, dass er nichts berührte und Frauen und Kindern nicht zu nahe kam, um jedes Missverständnis zu vermeiden.
    Aber man schenkte ihm gar keine Beachtung: Niemand sah oder sprach ihn an, niemand berührte ihn. Sogar die

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