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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Kinder hatten sich wieder in ihre Spiele vertieft, seine Anwesenheit war ihnen gleichgültig. Was für Aufruhr wäre umgekehrt entstanden, wenn einer von ihnen auf der Straße vor seinem Elternhaus, zwischen Waschhaus und Kirche, erschienen wäre! War er unsichtbar für sie? Oder hatten sie sich, weil sie ihn bereits seit dem ersten Tag überwachten, an seine Gegenwart gewöhnt?
    Die Männer hockten jetzt alle um das Feuer herum und unterhielten sich angeregt. Bestimmt sprachen sie über ihn – wovon sonst? Er trat näher, um etwas von ihrer Sprache zu erhaschen, irgendetwas Vertrautes, vielleicht einen Begriff aus ihrem Grundwortschatz. Doch was da an sein Ohr drang, war ihm ganz und gar fremd: ein Silbensingsang voller Zungenschnalzen und Rachenlauten.
    Er hockte sich zu ihnen und sagte, indem er seine Hand flach an die Brust legte:
    «Guten Abend. Mein Name ist Narcisse. Ich heiße Narcisse.»
    Hatte er ihr Gespräch etwa gestört? Sie betrachteten ihn mit ausdruckslosen Gesichtern – weder überrascht noch abschätzig noch neugierig, schlichtweg ausdruckslos – und nahmen das Gespräch wieder auf.
    Die Nacht rückte näher, und, falls sich die Alte nach dem Rhythmus ihres Stamms gerichtet hatte, damit auch die Stunde, in der man aß. Weil er sonst nichts zu tun wusste, wartete er einfach auf seinen Anteil. Allerdings schien niemand das Essen anrichten zu wollen.
    Wo mochte das Schiff jetzt wohl sein? Noch ungefähr zehn Tage, dann würde die Saint-Paul zurückkehren. Der Marsch durch den Busch hatte ihn ungefähr vier Stunden gekostet, er war zu weit von der Küste entfernt, als dass man den weißen Rauch des Feuers hätte sehen können, selbst vom Ausguck aus. Um wieder zum Meer zu gelangen, musste er einfach denselben Weg zurückgehen, das traute er sich zu. Er musste nur gründlich genug nachdenken und alles vorbereiten, um sich im richtigen Augenblick Richtung Strand abzusetzen. Sobald er wieder bei Kräften wäre, würde er einen Wassersack sowie ein paar Fleischstücke stehlen und sich aus dem Staub machen. Die Gleichgültigkeit der Wilden kam ihm sehr gelegen. Sie würden ihm nicht im Wege stehen. Ein Fluchtplan reifte in ihm heran.
    Fleisch. Er hatte, seit ihn die Alte mit gegrillter Echse und Zwiebelknollen versorgt hatte, nichts mehr gegessen. Der Durst war zwar vorerst gelöscht, doch der Hunger nagte von Neuem.
    Sie behandelten ihn nicht wie einen Gast, sie boten ihm weder ein Nachtlager noch Verpflegung an. Er hätte es verstanden, wenn er ihr Gefangener gewesen wäre, stets bewacht und an den Händen gefesselt – doch selbst einem Gefangenen würde man morgens und abends immerhin einen Napf vorsetzen. Was also war er in ihren Augen?
    Nachts ertönte aus der Männergruppe leises Stimmengewirr. Die zwei Jüngsten schoben mit einem Stock Glut, Steine und Sand auseinander und legten den Eingang zu einer Grube frei, die mit rußgeschwärzten Blättern überdeckt war. Trotz der Gefahr, sich die Finger zu verbrennen, vergrößerten sie die Öffnung und entfernten die Blätter. In der Glut war ein Tier von ansehnlicher Größe gegart worden und verbreitete einen angenehmen Geruch von gekochtem Fleisch. Sie hoben es mit zwei improvisierten Stangen aus der Grube und legten es mitten auf der Erde ab.
    Der Alte, an den sich Narcisse anfangs gewandt hatte, nahm einen scharfen Stein zur Hand und schnitt mit ein paar präzisen Schnitteneinzelne Stücke heraus. Jeder der Männer holte sich eines und ließ sich zum Essen in der Nähe des Feuers nieder. Als alle bedient worden waren, kam auch Narcisse näher. Der Alte wirkte äußerst überrascht und bedeutete ihm, sich zu entfernen. Als er sah, wie Narcisse zögerte, bellte er einen kurzen unmissverständlichen Befehl, ganz wie die Alte, als er sich bedienen wollte. Die Jüngsten der Männer hatten sich erhoben, bereit einzugreifen. Er hatte keine Chance gegen sie und gab auf.
    Die Männer aßen schweigend und nahmen sich erneut, bis sie satt waren. Nach einem Ruf in die Menge kamen nun die Burschen im Alter zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren zum Zug und gesellten sich dazu. Narcisse mischte sich unter die jungen Männer, aber er wurde zurückgewiesen wie zuvor.
    Dann war die Reihe an den Frauen. Von dem Tier war nicht mehr viel übrig. Er versuchte nicht einmal mehr, sich gemeinsam mit ihnen zu bedienen. Würde er als Letzter drankommen? Die Frauen nahmen sich ihre Stücke, ließen sich bei den kleinen Kindern im Sand nieder und gaben ihnen zu essen. Die

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