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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Nutzen ziehen könnte als den, es schlicht und einfach getan zu haben. Und so merkwürdig dieses Tauschgeschäft in der Tat anmuten mag, es fußt wie alle anderen auf einer Wirklichkeit, die Narcisse noch unverständlicher ist: dem Geld. Die Münzen, die ich ihm in die Hand gebe, kann man nicht verzehren, sie wärmen nicht, sie sind zu nichts gut. Ich habe vollständig darin versagt, ihm diese Zusammenhänge zu erklären.
    Unsere Unterhaltung zu diesem Thema dauerte mehr als eine Stunde, und einem außenstehenden Beobachter wäre manches unmoralisch, anderes geradezu komisch erschienen.
    In diesem Augenblick wurde mir das Ausmaß meiner Naivität deutlich. Ist Narcisse in unserer Welt angekommen, nur weil er Hosen trägt und aus dem Glas trinkt? Narcisse, von uns und den grundsätzlichen Vorstellungen, auf denen unsere Gesellschaft fußt, unendlich weit entfernt, ahmt unser Verhalten nach, so gut es geht … Während es mir so vorkommt, als würde ich ihn auf einem geraden und gut markierten Weg führen, hat er wahrscheinlich den Eindruck, sich in einem undurchdringlichen Wald zu verlieren, wo ihm alles fremd ist. Bin ich nicht in erster Linie damit beschäftigt, ihn zu dressieren und ein gelehriges Tier aus ihm zu machen, das die ganze Zeit nur so tut, als ob? Narcisse wird immer zivilisierter und bleibt doch unerreichbar …
    Haben sich die Einwohner Londons darin verschworen, mich zu belästigen? Eben war ein Kommissar aus dem örtlichen Polizeirevier hier, man hatte ihm von diesem Franzosen ohne Papiere berichtet. Ich hielt ihm den Bescheid des Kolonialrichters aus Sydney unter die Nase und wurde ihn auf diese Weise los. Trotzdem wollte er Narcisse vorher sehen und ihm einige Fragen stellen. Ich dolmetschte, Narcisse fiel es schwer, sich auf die Situation einzustellen, und irgendwann ging der Kommissar endlich.
    Des Abends konnte ich mich dem Anhang Ihres Schreibens widmen, mit dem Sie auf einen Vorschlag antworten, den ich mir vor drei Monaten zu unterbreiten erlaubte. Ich bin Ihnen vor allem für Material dankbar, das Sie mühsam haben recherchieren lassen und das sich mit Geschichten von Matrosen beschäftigt, welche in feindseliger Umgebung gestrandet sind.
    Es gilt jene auszusortieren, die in ihrem Unglück das Glück hatten, Schicksalsgefährten an der Seite zu haben. Eine Gruppe von Überlebenden, auch wenn sie letztlich nur aus zweien bestand, gab Kraft, Mut und garantierte den täglichen Gebrauch der Muttersprache, was Narcisse fehlte. Ebenso wage ich zu behaupten, die Robinsonsunserer Zeiten, welche auf einer einsamen Insel an Land gespült wurden, beiseitelassen zu können. Nicht, dass ihre Leiden geringfügig gewesen wären, aber sie hatten sich nur gegenüber der Natur zu behaupten, und ihr Schicksal lässt sich mit jenem von Narcisse nicht vergleichen.
    So bleiben die Fälle von Matrosen, welche es einsam und allein unter Wilde verschlagen hat. Die meisten von ihnen sind Deserteure. Die tropische Inselwelt, die Aussicht auf ein bequemes und sorgenfreies Leben sowie fruchtbare Böden haben mitunter Matrosen zum Desertieren verführt, die meisten von ihnen üble Gestalten, die froh waren, der Disziplin an Bord zu entkommen. Sie haben sich bei einem Stamm niedergelassen, oft eine Frau genommen und Nachwuchs gezeugt, und sie finden meist eine Rolle bei Handelsgeschäften, indem sie zwischen der Familie, bei der sie untergekommen sind, und Schiffen auf der Durchreise vermitteln. Einige unter ihnen haben sich auf Inseln, auf denen es Sandelholz oder Seegurken gibt, eine gute Stellung gesichert. Sie sind Vermittler zwischen zwei Welten, vergessen niemals ihre Herkunft, der sie aus freien Stücken den Rücken gekehrt haben, und verhandeln sehr geschickt und im Dienste ihrer persönlichen Interessen.
    Die Lage von Missionaren, ob katholisch oder protestantisch, ist ebenfalls gesondert zu betrachten. Die selbstlose Hingabe, mit der sie ihr Leben in den Dienste des Herrn stellen, verleiht ihnen beispiellose Kraft.
    Deserteure und Missionare leben allein unter Wilden, bisweilen sogar unter den schrecklichsten, doch sie haben ihr Schicksal selbst gewählt.
    Am Ende bleiben sieben ausreichend dokumentierte Tragödien von einzelnen Matrosen, die an irgendeiner Küste bei irgendeinem Stamm landeten. Ich möchte jedoch anmerken, dass ihnen laut Aufzeichnungen nach jeweils drei bis zwanzig Monaten, Hilfe zuteilwurde. Dieser Zeitraum, von dem sie ganz zu Anfang selbstverständlichnichts ahnen konnten, muss ihnen

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