Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
mich häuslich nieder, lerne ein schönes Mädchen kennen, das ich auf einen Ball ausführe und in der Kirche heirate – du weißt natürlich nicht, was eine Kirche ist, du kleiner schwarzer Teufel –, und dann mache ich ihr schnell ein Kind, einen kleinen, ganz pummeligen und rosigen Jungen, den ich im Arm halte, wenn sie ihn gerade nicht stillt, und dann einen zweiten, einen dritten, mindestens. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, spiele ich mit ihnen, sie kommen zu uns ins Bett gesprungen, und ich erzähle ihnen von meinen Reisen um die Welt, aber niemals, nie, nie, nie, werde ich ihnen erzählen, was hier passiert ist. Niemals.
Und an dem Tag, an dem ich in mein Elternhaus zurückkehre, weißt du, was ich dann möchte? Dass mir meine Mutter einen Eintopf macht. Du kleiner dreckiger Makak hast natürlich keine Ahnung, was das ist. Ich gehe in den Keller und hole schöne neue Kartoffeln, aus dem Garten hole ich einen saftigen, runden, dicken Kohlkopf, weiß-lila Steckrüben, einige Stängel Sellerie und Lauch. Aus dem Pökelfass nehme ich einige pralle, fette Würste, ein schönes Stück Bauchspeck, einen Schweinsfuß und geräucherte Schweinebrust. Ich lege das alles auf den Tisch und helfe meiner Mutter, das Gemüse zuschneiden, und sie setzt alles auf eine kleine Flamme und lässt es mehrere Stunden lang köcheln. Im ganzen Haus duftet es gut, und die Nachbarn wissen bald ebenfalls, was da auf dem Herd brodelt, und kommen auf einen Gruß vorbei. Und am Abend esse ich den Eintopf, bei schönem Wetter am Tisch draußen im Garten oder sonst in der Küche neben dem Ofen. Außerdem gibt es noch verschiedene Sorten Käse, Weintrauben, Nüsse und einen Schoppen Wein … Und wenn wir eigentlich schon keinen Hunger mehr haben, dann zieht sie einen Pflaumenkuchen aus dem Ofen …»
Sein ganzes bisheriges Leben lang hatte er noch niemals eine so lange Rede gehalten. Er hatte geredet, um den Klang seiner Stimme zu hören, und war berauscht von seinen Worten und erstaunt darüber, was er sich sagen hörte. Waiakh hatte ihm ebenfalls gelauscht, wort- und reglos, und hatte ihn mit gespannter Aufmerksamkeit und wie eingeschüchtert angeschaut. Er holte Luft. Was hatte es für einen Sinn, diesem kleinen schwarzen Eidechsenfresser von Pflaumenkuchen zu erzählen? …
Neunter Brief
Vallombrun, 25. September 1861
Monsieur le Président,
wer hätte ahnen können, dass uns dieses Abenteuer einen Empfang bei Hofe bescheren würde?
Der Comte de Marsigny, kaiserlicher Kammerherr, hatte mich um eine Unterredung gebeten. Ihre Majestät die Kaiserin hatte, nachdem sie aufgrund von Gerüchten in der Stadt und der Presse von der Zukunftdes weißen Wilden erfahren hatte, den Wunsch geäußert, ihn kennenzulernen. Über die bewegte Sitzung unserer Société ließ er nichts verlauten. Ich verneigte mich: Narcisse und meine Person stünden Ihrer Majestät zur vollen Verfügung.
«Er ist … nicht gefährlich, nicht wahr?»
Diese Frage wurde oft gestellt, und ich versicherte, dass Narcisse der sanfteste und ergebenste Diener Seiner Majestät des Kaisers und der Kaiserin sei. Und war nicht das erste Wort, das er in Sydney ausgesprochen und an dem man ihn als Franzosen erkannt hatte, der Vorname des Begründers der kaiserlichen Dynastie gewesen? Und verehrte man nicht in seiner ganzen Familie den Onkel, einen Veteranen der Großen Armee, der einst in Preußisch Eylau verwundet worden war? Der Blick des Kammerherrn verriet, dass er mir nicht gänzlich Glauben schenkte – oder vielmehr, dass er mir gerne aufs Wort geglaubt hätte, dass meine Beteuerungen aber als Garant für die Sicherheit Ihrer Majestät nicht genügten. In einem Brief teilte mir mein Bruder überdies mit, dass einige Tage zuvor der Präfekt von Isère damit beauftragt worden war, Auskunft über unsere Familie und meine Person einzuholen, im Übrigen, ohne große Diskretion an den Tag zu legen. Das Ergebnis dieser Recherche musste offensichtlich recht positiv ausgefallen sein …
«Wie könnte die Audienz Ihrer Meinung nach aussehen?»
«Es steht mir nicht an, Ihrer Kaiserlichen Hoheit und ihrer Entourage Ratschläge zu erteilen. Ich möchte nur anmerken, dass Monsieur Pelletier immer noch schüchtern und schreckhaft ist.»
Niemals zuvor war Narcisse als Monsieur bezeichnet worden. Es war ein seltsames Gefühl für mich, diese formelle Anrede aus meinem eigenen Munde zu vernehmen, so, als würde eine neue Person – die nicht mehr der weiße Wilde war
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