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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Frankreich und heute hierher nach Compiègne gebracht haben.»
    «Welche der beiden Reisen hat bei Ihnen den tiefsten Eindruck hinterlassen?», fragte die Prinzessin.
    Ich war überrumpelt und fand nur eine ziemlich dumme und platte Antwort.
    «Ihn nach Frankreich zu bringen, war eine Pflicht, doch heute zusammen mit ihm in Compiègne empfangen zu werden, ist eine Ehre, zu der sich überdies Vergnügen gesellt.»
    Missfiel I.M. die höfische Abgeschmacktheit meiner Antwort? Sie wechselte den Gesprächspartner.
    «Sind Sie froh, wieder in Frankreich zu sein, Monsieur Pelletier?»
    «Ja, I.M.»
    Er hatte meine Lektionen zur Etikette besser im Kopf behalten, als jene zur Konversation.
    «Erzählen Sie uns doch, wie Sie in all den Jahren dort unten Ihre Tage verbrachten.»
    «Morgens gehen die Männer zur Jagd oder fischen. Wenn es zu heiß ist, schlafen alle. Abends bereiten die Frauen das Essen. Nachts singen sie, oder alle tanzen. Dann schlafen alle.»
    Wir hatten diese Erwiderung, die mehr meine Erfindung ist und weniger von Narcisse selbst stammt, mehrmals wiederholt. Er spielte seine Rolle gut, und seine Antwort gefiel.
    «Das ist ein Leben, wie es mir gefallen würde», merkte I.M. träumerisch an.
    «Und was haben Sie gegessen?», fragte die Prinzessin.
    Narcisse überlegte einen Augenblick. Würde seine Antwort intelligenter ausfallen als bei Révérend Père Leroy?
    «Fisch … Muscheln … Schnecken … und … und …» Er fand nicht das Wort.
    «Ein Tier, das in der Gruppe fliegt … grün …»
    «Vögel?», schlug die Prinzessin vor.
    «Nein.»
    Der Kronprinz, der zum Zuhören näher gekommen war, rief aus:
    «Ich hole mein Bilderbuch, Mutter!»
    Die Prinzessin machte ihm wegen seiner Geistesgegenwart und Umsicht Komplimente, während er loslief, um sein Buch zu holen und es Narcisse zu geben. Beim Durchblättern der Seiten fand Narcisse schließlich besagtes Tier, der französische Begriff kam ihm in den Sinn, und niemand bemerkte, dass er des Lesens nicht kundig war. Das Bild hatte das Erinnern an das Wort erleichtert.
    «Heuschrecken.»
    Es folgten Ausrufe des Entsetzens und der Abscheu. Monsieur Mérimée machte eine charmante geistreiche Bemerkung, an die ich mich nicht mehr erinnere.
    «War es kalt?»
    «Nein, I.M. Nur ein bisschen bei Neumond, und wenn es heftig regnete.»
    «Welche Kleidung trägt man dort?»
    «Keine Kleidung.»
    I.M. stellte sicher, dass die Ohren des Kronprinzen nichts vernommen hatten, und deutete mit einem leichten Lächeln an, dass sie dem Überbringer der offenherzig enthüllten Unziemlichkeit diese nachsah.
    «Wie viele Frauen haben die Männer?»
    «Eine, Ihre Majestät.»
    «Eine einzige? Und kann man wechseln?»
    «Wenn die erste Frau älter wird, kann man eine andere nehmen. Man muss der ersten weiter zu essen geben.»
    Ich war überrascht, wie freimütig Narcisse der Kaiserin über das Leben bei den Wilden erzählte, während die Fragen, die ich ihm unzählige Male gestellt hatte, stets unbeantwortet geblieben waren. I.M. erfährt mit ihrer Gutherzigkeit und natürlichen Einfachheit sehr viel mehr Details als Monsieur Collet-Hespas in der vergangenen Woche.
    «Das ist eine australische Tradition, die, wie mir scheint, auch bei Hofe üblich ist», seufzte I. M. und wandte sich mir zu. Offensichtlich hatte ich lange genug Buße getan.
    «Vicomte, berichten Sie uns, wie Sie das Leben dieses Unglücklichen gerettet haben.»
    Ich fasste für sie den Anfang des Abenteuers zusammen und betonte dabei die Rolle des Zufalls und jene des Gouverneurs von New South Wales.
    «Man muss sich bei ihm bedanken. Ich werde dazu einen Brief an Victoria schreiben.»
    Eine der Hofdamen, die für die Korrespondenz zuständig sein musste, neigte den Kopf und schrieb ein paar Zeilen in ein Heft.
    «Doch», fragte die Prinzessin, «waren Sie sich von Anfang an der Wahrheit dieser Geschichte gewiss? Fürchteten Sie nicht, Opfer eines schlechten Scherzes geworden zu sein?»
    «Aus Angst vor Betrug traut man sich in Paris nichts mehr», erklärte Monsieur Mérimée.
    «Als ich diesem unglückseligen jungen Mann zum ersten Mal in den Gärten des Gouverneurs begegnete, trug er nur einen Lendenschurz. Seine Tätowierungen am ganzen Körper sprachen eine deutliche Sprache.»
    «Sind Tätowierungen bei Matrosen nicht eher üblich?», wandte die Prinzessin ein.
    «Das ist wahr, Euer Hoheit. Doch diese – und die anderen auf seiner Haut – sind einmalig. Möchten Sie sie vielleicht sehen?»
    Der

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