Was mit Rose geschah
von Mr Wood zu überbringen. Niemand muss jemanden treffen oder mit jemandem reden, wenn er es nicht selber will.«
Ich bringe es nicht über mich, »sie« zu sagen. Denn wie sollte das möglich sein?
»Hört sich an, als würden Sie Rose gut kennen«, sagt Hen.
Peter lächelt. »Oh ja.«
Eine leise Ungeduld schwingt in Hens Stimme mit, die nur ich bemerke, weil ich ihn so gut kenne. »Sie wissen also, wo Rose sich aufhält?«
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.« Statt zu antworten, steht er auf und verschwindet durch eine Tür in der Seitenwand.
Ich sehe Hen an. »Was hat er vor?«
Er zuckt mit den Schultern – geben wir ihm eine Chance.
Eine Minute vergeht. Dann noch eine. Wir sitzen schweigend da, nur das eine oder andere vorbeifahrende Auto unterbricht die Stille. Hier drinnen ist es wirklich erstaunlich kalt – es erinnert mich an meine sporadischen Kirchenbesuche als Kind. Da war es auch immer kalt, düster, mit mörderisch unbequemen Stühlen. Kein Wunder, dass die Besucher ausbleiben.
Nach meiner Uhr sind geschlagene fünf Minuten vergangen. Dann geht die Tür auf, und Peter kommt herein. Mit einer Frau. Er führt sie am Ellbogen, ernst und besorgt, als wären ihre Knochen aus Porzellan. Sie hat den Blick gesenkt. Klar, denke ich, sie sieht ein bisschen aus wie Rose, dass muss ich ihm lassen.
»Bitte, meine Herren, dies ist meine Frau Rena Hart, aber in ihrem früheren Leben hieß sie Rose Wood.«
Die Frau steht schweigend vor uns und schaut ins Leere. Hen und ich starren sie wortlos an. Sie hat aschblondes Haar mit Strähnchen, das mit Haarspray fixiert ist, so dass es eine ArtHeiligenschein um ihr Gesicht bildet. Hellblauer Lidschatten, rosa Nagellack und Lippenstift. Sie trägt ein Kostüm und eine Bluse mit hohem Kragen und Schleife, die an Prinzessin Diana erinnert. Das Kostüm scheint ihr zu groß zu sein; der Rock reicht fast bis zu den Knöcheln. Doch trotz des züchtigen Kragens kann ich eines sehr deutlich erkennen: ein portweinfarbenes Muttermal, das vom Hals bis zum Kinn reicht und aussieht wie eine dunkle Hand, die ihre Kehle umklammert.
»Rena Hart?«, sage ich schließlich, weil mir nichts Besseres einfällt.
Sie sieht ihren Mann an, als könnte sie bei ihm alle Antworten finden. Der Pastor nimmt ihre Hand.
»Als wir geheiratet haben, beschloss Rena, einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit zu ziehen. Daher wählte sie den Namen Rena – der ›wiedergeboren‹ und auf Hebräisch auch ›Freude‹ bedeutet. In unserer Kirche werden wir getauft und in einem sehr wörtlichen Sinn im Licht des Herrn wiedergeboren. Daher schien uns der Name passend.«
Er lächelt ihr zu und tätschelt ihre Hand. Ich räuspere mich und versuche ebenfalls zu lächeln. Dann strecke ich meine noch lahme Hand aus, was unbeholfen wirkt, bis Peter Hart ihre Hand freigibt. Sie ergreift meine Hand flüchtig, ohne mir in die Augen zu sehen.
»Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mrs Hart. Ich heiße Ray Lovell, und das ist mein Partner Henry Price.«
Wir stehen alle auf. Kurze Pause. Niemand scheint geneigt, sich wieder hinzusetzen.
»Ich muss schon sagen, ich hätte Sie nicht erkannt … dürfte ich …? Die habe ich mitgebracht.«
Ich fische die Fotos von Rose im Alter von sechzehn und achtzehn Jahren heraus. Vor allem das zweite ist sehr eindringlich; die junge Frau im Brautkleid scheint mit flehentlicher Miene um Hilfe zu bitten. Doch wenn ich die Fotos mit der Frau, die vor uns steht, vergleiche, gelange ich unweigerlich zu dem Schluss,dass es sich trotz aller Veränderungen um die Frau handelt, die früher Rose Wood und eine kurze Zeit lang Rose Janko hieß.
»Das ist ein bisschen verräterisch, nicht wahr?« Sie betastet die dunkle Haut an ihrem Hals. »Früher habe ich es komplett verdeckt … bis Peter mich umgestimmt hat.«
Sie errötet leicht und schaut ihn an; sein Anblick scheint sie zu beruhigen. Sie spricht ein wenig abgehackt und mit einem leichten walisischen Akzent, genau wie ihr Mann.
»Es ist … wirklich erstaunlich. Ihr Vater war … nun ja, er hat Sie für tot gehalten.«
Sie hebt das Kinn; eine trotzige Bewegung, die von ihrem kräftigen Kiefer noch betont wird. »Tja, aber das bin ich nicht. Nicht, dass sich jemand in all den Jahren die Mühe gemacht hätte, mich zu suchen. Wo war er denn, als ich Hilfe gebraucht habe?«
»Haben Sie ihn denn um Hilfe gebeten?«
Sie gibt keine Antwort darauf.
»Ich würde ihm gerne sagen, dass es Ihnen – offenbar – sehr gut
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