Was mit Rose geschah
Wort.«
Wieder das Achselzucken. Sie schluckt den Köder nicht. »Dieses Leben hatte mir nichts zu bieten. Ein Mädchen ist eine Sklavin. Welche Aussichten hat man denn? Heiraten, geschlagen werden. Danke, nicht noch einmal. Ich habe mein kleines Haus und meinen Job, was nicht einfach war mit meiner Schulbildung.«
»Haben Sie und Ihr Bruder sich als Kinder nahegestanden?«
»Gott, nein. Er ist siebzehn Jahre älter als ich, er war mehr wie ein Onkel. Als ich geboren wurde, zog er schon allein durch die Gegend.«
»Haben Sie noch andere Geschwister außer Kath?«
»Noch eine Schwester.«
»Aha.«
»Ich nehme an, Sie wollen auch ihre Nummer haben.«
»Das wäre sehr hilfreich.«
»Das bezweifle ich. Sibby wohnt in Irland. Aber Sie können es ja versuchen.«
»Ich würde gern mehr über Christos Krankheit erfahren. Mirscheint, Rose könnte davor zurückgeschreckt sein. Ihr Bruder hat nicht gesagt, was er hat, nur dass es keine Heilung gibt.«
»Das stimmt.« Ihr Gesicht spannt sich an. Wenn es zuvor einen Flirt gab, dann ist es jetzt damit vorbei.
»Er sagte, andere in der Familie hätten auch daran gelitten.«
Sie trinkt noch einen Schluck. »Ja.«
»Tut mir leid, ich, ähm …«
Sie nimmt sich noch eine Zigarette und kämpft mit dem widerspenstigen Feuerzeug. Sie raucht zu viel, denke ich; vielleicht auch nur bei heiklen Gesprächen. Dann sagt sie schnell: »Wir hatten noch zwei Brüder. Istvan starb als Baby, und Matty … bei ihm war es nicht ganz so schlimm, er ist immerhin dreißig geworden.«
»Mein Gott, es tut mir leid. Ist Tene deshalb …«
»Nein, nein, das war ein Verkehrsunfall. In dieser Hinsicht geht es Tene gut. Aber er und Marta hatten noch zwei Söhne vor Ivo. Stevie … war noch ein Baby. Milo war sechs.«
Mir fehlen die Worte.
»Sie waren vor kurzem mit Christo in Lourdes. Ich nehme an, ein Versuch kann nicht schaden. Bei Ivo hat es funktioniert.«
»Ivo war auch krank?«
»Ja, als Kind. Aber er ist genesen.«
»Sagten Sie nicht, es gäbe keine Heilung?«
Sie zuckt mit den Schultern. Mir gefällt es, wenn sie das tut.
»Weiß nicht. Vielleicht hat Lourdes ihn geheilt. Oder er hatte etwas anderes.«
»Trifft es nur … die Jungen?«
Sie schaut mich an; ihre Augen sind voller Schmerz. Ich wünschte, ich hätte ihr das nicht angetan.
»Ja, sieht so aus.«
»Es tut mir leid.«
Sie fängt sich wieder, mit einem sichtbaren Ruck, als würde sie einen Druckknopf schließen.
Ich denke an ihre Ehe. Ob sie Kinder hat?
Sie schaut auf die Uhr. »Ich muss zur Arbeit.«
»Schön. Was arbeiten Sie?«
»Ich bin Go-go-Tänzerin.«
»Oh, super.«
Ein kurzes sarkastisches Lächeln. »Ich bin Krankenpflegerin.«
»Oh, super.«
»Es macht mir Spaß.«
»Arbeiten Sie in einem Heim?«
»Privat.«
»Na, dann danke für das Treffen und … dass Sie mit mir geredet haben.«
»Viel Glück.«
»Kann ich Sie wieder anrufen?« Es klingt nicht ganz so, wie ich es gemeint habe. »Falls sich noch etwas ergibt.«
Sie zuckt mit den Schultern, die mich an kleine Flügel denken lassen – gleich wird sie sie entfalten und abheben.
»Ich kann Sie nicht daran hindern.«
Sie stöckelt aus dem Pub, und ich höre, wie ihre Absätze auf dem Gehweg leise verklingen.
Das, was sie erzählt hat, so es denn stimmt, ist ganz schrecklich. Mir fällt ein – die russischen Zaren hatten auch eine Krankheit, die nur Jungen und daher die Thronfolge betraf. Es hatte auch etwas mit Königin Victoria zu tun, aber ich weiß nicht mehr, wieso. Mein Vater hätte es gewusst. Und wenn nicht, hätte er es nachgeschlagen. Aber mein Bruder Tom hat jetzt das Book of Knowledge . Jen wollte es nicht im Haus haben. Sie behauptete, es würde stinken.
16
JJ
Einer der größten Nachteile, wenn man im Wohnwagen lebt, ist, dass man keinen zu sich nach Hause einladen kann. Das habe ich in der Schule gemerkt, vor allem bei Mädchen: Sie reden am Ende des Unterrichts oder gehen zusammen zur Bushaltestelle, und eine sagt dann beiläufig: Komm doch mit zu mir. Wir können lernen/Tee trinken/die neue Platte von den Pet Shop Boys hören. Ganz einfach. Keine große Sache. Dann steigen sie in den Bus und fahren los und haben ihren Spaß.
Ich gehe nie zur Bushaltestelle, weil in der Nähe unseres Stellplatzes kein Bus fährt. Meist holt mich Mama ab, oft mit dem Lieferwagen, den sie gerade fährt – von einem Blumengeschäft oder einer Bäckerei. Einmal, das war total peinlich, holte sie mich in einem Kühlwagen ab, auf dem
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