Was nach dem koeniglichen Ball geschah
möglicherweise ernsthaft erkrankt war. Auch Chris sah besorgt aus.
„Natürlich, Geoffrey. Was gibt es?“
Er kam auf sie zu und hielt ein Blatt Papier in der Hand. Anne erkannte das Foto, das die Überwachungskamera vom Lebkuchenmann gemacht hatte. Geoffrey legte es auf den Küchentisch.
„Ich muss mit dem Sicherheitsdienst darüber sprechen.“
„Haben Sie ihn erkannt?“, fragte Anne.
Geoffrey nickte. „Ja.“
„Wer ist es?“, wollte Chris wissen.
„Dieser Mann“, erwiderte Geoffrey mit brüchiger Stimme, „ist mein Sohn.“
10. KAPITEL
Sein Name war Richard Corrigan.
Die ganze Familie war entsetzt und traurig, als sie erfuhr, dass es sich um Geoffreys Sohn handelte. Doch zumindest hatten sie jetzt eine Vorstellung von seinen Beweggründen.
Richards Mutter zufolge, mit der Geoffrey sofort Kontakt aufgenommen hatte, war Richard schon immer schlecht auf die königliche Familie zu sprechen gewesen. Seine Abneigung bezog sich besonders auf die Kinder, da er glaubte, sein Vater habe sie ihm vorgezogen. Doch erst seit Kurzem war seine Verbitterung so stark geworden, dass es ihn zu Gewalttaten getrieben hatte.
Er hatte zur Spezialeinsatzgruppe des Militärs gehört und einen hohen militärischen Rang innegehabt, bis ein Auftrag in Afghanistan ganz furchtbar schiefgegangen war. Viele seiner Mitsoldaten waren vor seinen Augen getötet worden, sodass Richard seitdem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Anstatt ihm die psychologische Betreuung zu bieten, die er dringend nötig gehabt hätte, hatte man ihn aus dem Dienst entlassen. Offensichtlich war das der Zeitpunkt gewesen, an dem er den Verstand verloren und die königliche Familie für sein Leid verantwortlich gemacht hatte.
Geoffrey vermutete, dass Richard die Reime in seinen Drohmails verwendet hatte, weil er seinem Sohn in dessen Kindheit aus Büchern vorgelesen hatte. Der Butler gestand, bereits vor einigen Monaten den entsetzlichen Verdacht gehegt zu haben, sein eigener Sohn wäre für die Drohungen verantwortlich, hatte es aber einfach nicht wahrhaben wollen. Er hatte gedacht, dass das schlechte Gewissen ihn aufs Glatteis führen wollte. Doch als er das Foto gesehen hatte, konnte er die Wahrheit nicht länger ignorieren.
In seinem Kummer und getrieben von Schuldgefühlen bat Geoffrey darum, seinen Dienst quittieren zu dürfen, aber davon wollte man nichts wissen. Er war ein Teil der Familie, und als Familie hielt man zusammen. Chris versicherte Geoffrey, dass Richard die nötige psychologische Unterstützung erhalten sollte, wenn er erst einmal gefasst worden war.
Unglücklicherweise war er nach einem Monat trotz eines internationalen Haftbefehls immer noch nicht dingfest gemacht worden. Zwar hatte man ihn unzählige Male gesichtet, aber keiner der Hinweise hatte sich als hilfreich herausgestellt.
Anne begriff, dass ihr Champagnerfest ein wenig voreilig gewesen war. Möglicherweise waren sie einfach vom Pech verfolgt. Nur zu gern wollte sie daran glauben, dass man Richard ergriff, bevor er eine weitere Bombe legen und Menschen Schaden zufügen konnte. Doch ihr Leben war zurzeit so ein Trümmerhaufen, dass sie nur das Schlimmste befürchten konnte.
Der Monat nach ihrem Streit war furchtbar gewesen. Sam hatte sich nicht versöhnlich gezeigt. Nicht, dass er unfreundlich zu ihr gewesen wäre – damit hätte Anne wenigstens noch umgehen können. Doch mit Sams Gleichgültigkeit und Schweigen kam sie überhaupt nicht klar. Sie sprachen nur miteinander, wenn es absolut notwendig war, und dann erhielt sie meist einsilbige Antworten von ihm. Oft arbeitete er lange oder ging mit seinen Freunden abends aus. Vor der Familie erhielt er den Anschein einer glücklichen Ehe aufrecht, wofür Anne ihm dankbar war – doch Anne selbst ignorierte er.
Sie konnte sich nicht erklären, wie sein aufmerksames und zuvorkommendes Verhalten derart hatte umschlagen können. Fiel es ihm tatsächlich so leicht, seine Gefühle auszuschalten und Anne gänzlich aus seinem Leben auszublenden?
Im vergangenen Monat hatte er sie noch nicht einmal geküsst. Anne hatte ein paar Mal versucht, intim mit Sam zu werden, doch er hatte sie mit eisiger Ablehnung gestraft. Sie hatte den Verdacht, dass er viel lieber in einem anderen Bett geschlafen hätte. Anne befürchtete, dass Sam irgendwann den Mangel an Sex ausgleichen würde, indem er den Verlockungen einer anderen Frau erlag.
Aus diesem Grunde versuchte sie trotz seines ablehnenden Verhaltens, ihn immer und
Weitere Kostenlose Bücher