Was Oma und Opa noch wussten
Krisenfall ganz sicher nicht auf Lebensmittelspenden aus anderen europäischen Staaten verlassen können. Denn dort hat man die Notfallversorgung für die eigene Bevölkerung im Zuge der Finanzkrise schon längst in aller Stille abgeschafft: Frankreich und Italien haben beispielsweise nicht ein einziges Vorratslager mit Lebensmitteln für ihre Einwohner. Nur noch Ungarn und die Tschechische Republik hatten 2012 unter den 27 EU-Staaten noch ansatzweise eine staatliche Bevorratung für Notfälle. In Großbritannien gibt es für 65 Millionen Einwohner kein Gramm Lebensmittel in staatlichen Lagern. »Wenn es geheime Le- bensmittellager gibt, sind sie so geheim, dass ich nichts davon weiß«, sagte dort der Sprecher des Umwelt- und Landwirtschaftsministeri- ums, das für Nahrungsmittelsicherheit verantwortlich ist. Die Briten haben vielmehr ein Notfallgesetz, den Civil Contingency Acts 2004. Der gibt den Behörden die Handhabe, im Notfall Lebensmittel in den Geschäften zu rationieren oder die Abgabe von Lebensmitteln an be- stimmte Personengruppen zu untersagen. Die Regierung kann dann beispielsweise dicken Menschen vorübergehend Lebensmittel ver- weigern. Einzig die Schweiz hat in Europa für den möglichen Krisen- fall ausreichend vorgesorgt: Sollte der Kleinstaat von der Außenwelt abgeschnitten werden, dann ist die Lebensmittelversorgung der Be- völkerung für viele Monate gesichert. Die Regierung setzt auf soge- nannte Pflichtlager. Unternehmen, die eine Mindestmenge bestimm- ter Güter importieren oder zum ersten Mal in der Schweiz verkaufen, müssen die Depots errichten. Die Regierung legt die Mengen der ge- lagerten Güter fest, überwacht die Bewirtschaftung und hilft bei der Finanzierung. 2012 lagerten in den Arsenalen beispielsweise 69.000 Tonnen Zucker, die für mindestens vier Monate reichen. 13.500 Ton- nen Kaffee sollen den Schweizern drei Monate lang Genuss garantie- ren. Größter Posten ist Getreide für Mensch und Tier: 270.000 Ton- nen, die garantiert vier Monate reichen. Zudem haben die meisten Schweizer traditionell Vorräte daheim.
Ein vernünftig zusammengestellter privater Lebensmittelvorrat hilft heute ebenso wie vor hundert Jahren, Krisensituationen leichter zu überstehen. Und es ist zudem hilfreich, wenn man weiß, wie man sich und seine Familie ernährt, wenn für eine unbestimmte Zeit nichts mehr wie gewohnt funktioniert.
Erfahrungen aus vergangenen Krisenzeiten:
von Bucheckern bis Grieß
Wirklich verheerende Versorgungskrisen entstehen nur dann, wenn vier Faktoren zusammentreffen: der Rückgang der landwirtschaft- lichen Produktivität, der (teilweise) Zusammenbruch der Infrastruk- tur, eine Welternährungskrise mit global steigenden Lebensmittel- preisen und der Zusammenbruch des Geldsystems/Vertrauensverlust in Währungen.
Diese Situation hatten wir im deutschsprachigen Raum im Ersten Weltkrieg. Es gab nach 1914 eine Hungersnot, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. Die amtliche Tagesration für einen Erwachse- nen betrug beispielsweise im Winter 1916/1917 in Berlin: 270 Gramm Brot (etwa fünf Scheiben), 35 Gramm Fleisch (einschließlich Kno- chen), 25 Gramm Zucker, elf Gramm Butter und alle zwei Wochen ein Ei. In der Realität gab es Fleisch, Butter und Ei allerdings meist nie. Daher nachfolgend die Auflistung, was eine vierköpfige Familie in jener Zeit aus einem einzigen Kaninchen gemacht hat, das man entweder mit Fallen auf den Feldern gefangen oder aber irgendwo er- standen hatte. Mit einem einzigen Kaninchen wurde eine Woche lang die ganze Familie ernährt:
Am Schlachttag machte den Anfang Tiegelwurst: Blut auffangen, gut verrühren und mit dem zugeteilten Brot, eingeweichter alter Semmel oder mit dickem Grützebrei verarbeiten. Mit Zwiebel, Salz, Majoran und Pfeffer würzen und mit etwas Fett durchbraten. Am nächsten Tag kam die Leber auf den Tisch. Gewaschen, in Scheiben geschnitten, in Mehl gewendet, mit Salz und Pfeffer bestreut, in Fett zusammen mit Apfel- und Zwiebelscheiben gebraten. Dann gab es Hasenpfeffer aus Kopf, Herz, Lunge, Milz und Hals mit einer brau- nen, süßsauer abgeschmeckten Tunke zu Kartoffeln. Sülze wurde aus den gut gesäuberten und gründlich gewässerten Eingeweiden zu sammen mit etwas (wildem) Gemüse und Geleepulver bereitet. Fleischröllchen mit der Brotration oder Zwiebelfülle und einer wür- zigen Tunke wurden aus den Bauchlappen gemacht. Rücken und Keule, eingelegt in Essigwasser oder Buttermilch, waren nach einigen
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