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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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strahlt wieder. So schnell wechselt das Wetter in den Bergen Aotearoas. Die Hütte liegt wie ein dunkles Tier am Hang. Außen grünes Wellblech, innen helle Spanplatten. An den Wänden hängen Poster, die über Feuersicherheit, Ziegensittiche und den Bestand der Südbuchen informieren. Bitte die Bettennummer in die Liste eintragen – um 19.30 Uhr kommt der Hüttenwart, um die Buchungstickets einzusammeln und Auskünfte über die weitere Route zu geben.
    »Neuseelands Hütten und Trecks, die sind wirklich ein Genuss«, erkläre ich Tamara, als ob ich vom Fremdenverkehrsamt wäre. »Alles ist in Schuss, alles öko, und an alles ist gedacht. Super Infrastruktur, aber kein Massentourismus.«
    Sie schaut mich zweifelnd an. ›Super Infrastruktur‹ bedeutet für sie sicher Club Med mit angeschlossener Einkaufspassage.
    Eine Reihe von Gaskochern steht unter den Fenstern. Das ist die Küche. Spartanisch, aber nicht ungemütlich. Auch hier hängen Wanderinfos. Wir sinken auf eine Bank und binden mit klammen Fingern unsere Schuhe auf. Meine schmerzenden Schultern stöhnen förmlich auf, als der Rucksack endlich abgleitet. Im Tal glänzt der Fluss. Emeraldfarbenes Wasser, grüne Wiesen, glasklare Luft. Dort unten hat Dietmar Sägel hoffentlich technisch einwandfrei sein Lager aufgeschlagen. Rund um uns thronen Berggipfel, einige davon noch verschneit. Meine Laune ist mit einem Schlag angestiegen, seit wir die Hütte erreicht haben. Für dieses Gefühl und den Rundblick haben sich die Qualen der letzten Stunde gelohnt.
    Auf Socken inspizieren wir die beiden Schlafsäle. Sie sind in offene Abteile unterteilt, zwei Stockbetten pro Zelle. Auf jedem Bett liegt eine weiße Plastikmatratze.
    »Wo willst du einziehen?«, frage ich Tamara. »Sind noch einige frei, du darfst aussuchen.«
    Doch ihre Laune ist alles andere als beschwingt. Sie schluckt heftig und sieht aus, als ob sie jeden Moment zu weinen anfängt.
    »Ich, dachte, wir … also, das ist ja schrecklich hier. Wie … wie auf der Klassenfahrt damals vom Gymnasium.« Ihre Stimme vibriert vor Abscheu. »Ich dachte, man hat ein Zimmer für sich – du hast doch alles gebucht? Ich werde verrückt, wenn jemand schnarcht, das halte ich schon bei Dietmar kaum aus. Ich werde kein Auge zumachen. Und wo soll ich mich bitte umziehen?«
    Ich schlage ihr zum Umziehen die Damentoilette vor. Und für Geräusche in der Nacht meine nagelneuen Ohrstöpsel. Endlich kann ich auch mit Outdoorhightech punkten. Aber keine Chance. Tamara ist fix und fertig. Sie läuft zur Tür hinaus und zieht ihr Handy aus dem Rucksack. Panisch drückt sie darauf herum, als ob es sich um einen Notfall handelt.
    »Vergiss es. Kein Empfang hier oben«, sage ich. Langsam verliere ich die Geduld. Warum tue ich mir das alles an? Ich wünschte, ich könnte mit meiner Familie all diese unberührte Natur – fast wäre mir doch glatt »Paradies« herausgerutscht – erleben. Mein Sechsjähriger würde sich dabei weniger weinerlich anstellen als diese Zicke.
    Tamara zeigt auf das Gebäude, das zwanzig Meter weiter hinter den Bäumen hervorlugt.
    »Was ist denn das dort?«
    »Das ist die Falls Lodge. Da übernachten die Leute, die eine geführte Routeburn-Wanderung machen. Sie bekommen volle Verpflegung und brauchen keine Schlafsäcke. Alles mit richtigen Betten, Bädern, Heizung und so. Sehr komfortabel, kostet aber auch das Zehnfache.«
    Komfort war das Stichwort. Tamaras Gesicht hellt sich auf. Sie holt die Geldscheine aus der Tasche und wedelt damit unter meiner Nase. In Windeseile zieht sie ihre Schuhe wieder an, greift sich den Rucksack und trabt los. Die Blasen scheinen vergessen.
    »Du kannst da nicht einfach so absteigen«, rufe ich ihr hinterher, »es ist kein Hotel! Die sind als Gruppe vor zwei Tagen vom anderen Ende aus losgelaufen. Ist alles fest gebucht.«
    Sie dreht sich noch einmal kurz um. Aus dem Häufchen Elend ist wieder die professionelle PR -Dame geworden.
    »Das kriege ich schon hin. Glaub mal nicht, dass nur du dich hier auskennst.«
    Das saß.
    »Und was ist mit dem Cheeseburger aus der Dose?«, murmele ich ziemlich kleinlaut, aber sie ist schon verschwunden. Jetzt hätte ich gerne Eva als Verbündete bei mir. Oder zumindest Handyempfang.
    Die Zweiminutennudeln prasseln in die Plastikschüssel. Ich reiße das winzige Tütchen mit den gefriergetrockneten Erbsen und Karottenfitzeln auf, streue es auf die Trockenkost und gieße kochendes Wasser darüber. Selten habe ich mich so auf eine warme
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