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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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    »Verdammt, wir leben doch nicht nur in einer Ansichtskarte, oder?« Claudes stahlblaue Augen funkeln mich wütend an. Die Untertassen, die sie neben der Espressomaschine stapelt, scheppern. »Wir haben Hillary, den ersten Mann auf dem Mount Everest; Rutherford, der das Atom gespalten hat; Pickering, der für die Raumfahrt so wichtig ist wie euer Wernher von Braun.« Sie holt kurz Luft. »Wir haben den Expressionisten Colin McCahon, den Dichter Allen Curnow, das erste Wahlrecht für Frauen auf der Welt und eine Sozialpolitik, die für viele Staaten Modell stand.« Ihre Stimme ist jetzt ein Eisatem. »Und alles, wofür ihr euch interessiert, sind unsere verdammten Bäume und Berge.«
    Eine Stunde später schickt sie mir eine SMS .
    »Sorry. Komme auf die nächste Tour mit. Mount Erebus?«
    Mount Erebus ist ein Berg in der Antarktis, an dem vor 30 Jahren ein neuseeländisches Flugzeug zerschellte. Alle Passagiere starben. Claude hat einen seltsamen Geschmack. Daher hat sie auch keinerlei Problem mit uns Deutschen. Wahrscheinlich schätze ich das bei ihr am meisten.
    Wenn die Westküste all das ist, wofür Neuseeland sich seit jeher geschämt hat, dann liebe ich sie dafür. Außerdem bin ich, ob Claude will oder nicht, von dem Anblick aus dem Autofenster hingerissen. So viel Grün. So viele Farne. So wenige Häuser.
    ›Pongas, Handlesen, Seife‹ verkündet eine bunt bemalte Holztafel an einem Gartenzaun. Das Tor hängt lose in den Angeln, dahinter geht die Wildnis nahtlos weiter. Ponga heißen die Farnbäume, die hier im wilden Westen überall wachsen. Ich stelle mir die Wahrsagerin vor, die in ihrem Hexenkessel Seife braut und nebenbei ein paar Bäume abhackt. Ihr Mann zieht garantiert Possums das Fell über die Ohren und schrammelt abends Country-Songs auf der Ukulele.
    ›Kids in sport stay out of court‹ steht als Ermahnung auf einem Schild an der Einfahrt nach Greymouth. Bisher dachte ich immer, dass nicht Turnen am Reck, sondern Bildung und Erziehung vor einer kriminellen Karriere schützen. In anderen Landstrichen, zum Beispiel dem amerikanischen Mittelwesten, würde man auf den Slogan ›Kinder in der Kirche landen nicht vor Gericht‹ stoßen. Aber hier ist die Volksreligion eine andere.
    Wir fahren weiter gen Norden, halten an Höhlen, einsamen Stränden, einer Robbenkolonie. Die nächste Kleinstadt, Westport, wirbt geradezu trotzig mit dem überdimensionalen Slogan: ›Wenn Sie die Schweiz sehen wollen, fahren Sie nach Queenstown. Wenn Sie Neuseeland wollen, kommen Sie nach Westport!‹. Queenstown ist der strahlende Dreh- und Angelpunkt der Touristen, die auf die Südinsel kommen, und Westport eher das Gegenteil davon. Claude hatte mich gewarnt: angeblich nichts als schäbige Pubs und Bewohner, die von Sozialhilfe, Kohleabbau und illegalem Marihuana-Anbau leben. Das Ende der Zivilisation. Selbst der nächste McDonald’s ist hundert Kilometer entfernt.
    Wir biegen von der Küstenstraße nach Westport ab. So sieht also der Gegenentwurf zur neuseeländischen Möchtegern-Toskanafraktion aus: eine windige, zu breite und ziemlich verlassene Hauptstraße, ein paar schlammbespritzte Allradfahrzeuge, ein großer Baumarkt und eine Tankstelle, in der sie Dichtungen für Gasflaschen mit der Bemerkung verkaufen: »Eigentlich darf man die so gar nicht verwenden« – aber wen schert’s. Seine bescheidene Anmutung macht der 5000-Seelen-Fleck zwischen Brandung, Regenwald und der Schlucht des Buller Rivers durch Herzlichkeit und das Fehlen jeder Hektik wett. Im Supermarkt lassen mich zwei ältere Damen ungefragt vor. Sie stehen zwar in der Schlange vor der ›Express‹-Kasse, haben aber mehr Lust, erst mal zu plauschen. Würde ich mich dazustellen, dann könnte ich nicht nur eine Menge über den aktuellen Zustand der Angelreviere in nächster Umgebung aufschnappen, sondern würde garantiert auf ein Tässchen Tee eingeladen werden.
    Im erstbesten rustikalen Schnellimbiss fragt Lukas nach einem Kaffee.
    »Oh, wir haben diesen La-Te-i«, sagt der leicht verwildert aussehende, aber umso freundlichere Imbissbesitzer. Der Name des Milchkaffees hat sich bis hierhin herumgesprochen, nur mit der Aussprache hapert’s noch. Ebenso mit der italienischen Zubereitung. Stolz zeigt der Mann auf eine lilafarbene Science-Fiction-Maschine hinterm Tresen.
    »Geht ganz von selbst!« Mit fahrigen Händen – vielleicht akuter Alkoholmangel – stellt er einen Pappbecher in die Öffnung des Wunderapparats. Per Knopfdruck

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