Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
stattfindet, wurde ihr zu Ehren ›Feral Factor‹ getauft, und wir sind mittendrin.
Eine giftgrüne Zahnbürste steckt in der Gesäßtasche des Mannes vor uns. Sie leuchtet mit seinem Gesicht um die Wette. Der Pferdeschwanzträger heißt Rob, ist Gärtner und wäre gerne beim Fernsehen.
»Wo ich herkomme, wird man durch Kotzen berühmt«, sagt er, schiebt die verspiegelte Sonnenbrille ins Haar und betritt die ›Feral Factor‹-Bühne. Die ist eigentlich nur ein seitlich aufgeklappter Laster. Sechs weitere Kandidaten und eine Batterie von Schraubgläsern warten auf ihn. Der Inhalt ist von außen kaum zu identifizieren. Fischaugen, Bullensperma, Ochsenzunge, Schafskutteln, Grashüpfer und Hasenhoden liegen darin, schmierig und im Rohzustand. Der Moderator vom Lokalsender Coast F. M. schraubt die erste Dose auf und hält sie den sieben Mutigen unter die Nase.
»Nur riechen, noch nicht anfassen!«, ruft er.
Der Fotograf aus Auckland schiebt sich durch das Gewühl vor der Bühne. Ich winke ihm zu, damit er diese Szene nicht verpasst, auch wenn sie wohl nicht in einem Gourmetmagazin verewigt werden wird. Eine junge Kandidatin greift nach den Fischaugen. Sie sind so groß wie Ping-Pong-Bälle. Das Mädchen schluckt, würgt und greift zur nächsten Kugel. Ein anderer Kandidat verlässt freiwillig die Bühne. Rob, der verhinderte TV -Star, holt demonstrativ seine Zahnbürste raus und kratzt sich die letzten Fischfasern aus dem Gebiss. 9,3 Sekunden hat er gebraucht und alles unten behalten. Es kann weitergehen. Aus halbmeterlangen Inseminationsspritzen wird den Frauen und Männern Bullensperma einverleibt.
»Schmeckt wie Eiscreme ohne Geschmack!«, frohlockt der DJ und dreht die Anlage auf. Eine Kandidatin hält sich die Nase zu und schüttelt sich.
»Vanessa hat Angst, sie könnte davon schwanger werden!«, ruft der DJ ins Publikum. Das johlt, klatscht, lacht. Seit Hella von Sinnen mir detailliert ihre liebsten Intimrasurfrisuren beschrieb, habe ich mich bei der Arbeit nicht mehr so weit in Grenzgebiete vorgewagt wie hier.
Die Kandidaten quälen sich kauend durch die weiteren Widerlichkeiten: ein langer Streifen rosafarbener Ochsenzunge, eine Handvoll zäher Karnickelhoden und ein Schälchen Currysoße, deren Hauptbestandteil rohes Chili ist. Allen tränen die Augen. Rob hat jetzt keinen Sinn mehr für Zahnbürstenspäße. Einen halben Kuttellappen würgt er herunter, zuckt, schluckt, grinst entschuldigend und greift dann reflexhaft zum gelben Plastikeimer unter sich. Endlich kommt alles wieder hoch. So ruhmreich es auch sein mag, fürs Vaterland zu reihern – damit ist Rob aus dem Rennen. Otto will wissen, warum »der Mann da oben« plötzlich »so krank« geworden sei.
»Wisst ihr, was schlimmer ist, als das schärfste Chili der Welt zu essen?«, fragt der kranke Mann, als er vor uns steht. Er wischt sich Schweiß, Curryspritzer und Mageninhalt vom Gesicht und diktiert mir die Antwort in den Notizblock: »Wenn es einem danach durch die Nase hochkommt.«
Eine Lawine ist inzwischen auf die Gemeindewiese von Hokitika gerollt. 15 000 Leute werden an diesem Wochenende in dem Fischer- und Farmerstädtchen erwartet, das kleiner ist als Lyttelton. Das Wildfoods Festival feiert Jubiläum. Die meisten Besucher sind wild entschlossen, sich in kürzester Zeit die Kante zu geben. Meine erste Recherche führt mich zu der kulinarischen Verirrung, die dem Fresstreff seinen legendären Ruf eingebracht hat: Larven – dick, weiß und roh. Ein Holzfäller schlägt morsche Stämme entzwei, greift in die Späne, zieht einen zappelnden Wurm hervor und ruft: »Wie viel?« Lukas reicht ihm zwei Dollar. Weil mein Mann es lieber mit weniger Livegefühl mag, bekommt er seinen Holzwurm in Butter gebraten.
»Schmecken eigentlich nach nichts«, gibt Lukas zu und kaut. Er reicht mir einen warmen Knusperhappen mit einem Zahnstocher an. »Schokosoße dazu?«
Mein Fotograf hat genug zu tun. Wir schlendern an Ständen mit eingelegtem Farnkraut und Algenmarmelade vorbei. Am Würmerstand gibt es Cappuccino mit getrockneten Wurmkrümeln statt Kakaopulver auf Milchkaffeeschaum. Außerdem Wurmtrüffel und Wurmsushi. Letztere gehen weg wie nichts.
»Wir köcheln sie eine halbe Stunde lang und kippen Wodka drüber, bis der Geschmack verschwunden ist«, verrät der Sushikoch, der normalerweise für die Naturschutzbehörde DoC arbeitet. Weil er auf die Schnelle nicht genug Würmer aus seinem Komposthaufen rekrutieren konnte – »es war so trocken,
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