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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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nie mehr gut zu machenden Niederlage kriecht mir ins Herz. Der Abend ist für mich gelaufen.
    »Ich glaub, ich kriege Halsschmerzen.« Ich räuspere mich mit kratziger Stimme in Richtung Judy und Ashana. Beim Aufstehen lege ich Eva die Hand auf die Schulter. »Müsst mich bitte entschuldigen. Ein anderes Mal.«
    »Na, schöne Lieder von Ravi Shankar gesungen?«, frotzelt der Arzt, mit dem ich lebe. Lukas schmiert sich gerade eine dicke Stulle mit Schinken, als ich vom Kirtan nach Hause komme. Konsterniert schaue ich ihm beim Kauen zu und erzähle von meinem kulinarischen Fehltritt: Eier, Milch, Käse.
    »Schlimmer kann man sich kaum blamieren, Agrarnation hin oder her.« Ich stecke zwei von meinen Muffins in Ottos und Jakobs Brotdosen und zerknülle den Lunchzettel.
    »Hast du schon mal von Orthorexie gehört?«, fragt Lukas. »Das ist die neueste Essstörung aus Amerika, entdeckt von einem Dr. Bratman.«
    Was mein Mann nicht alles weiß.
    »Orthorexie? Klingt gefährlich.«
    »Das ist der Wahn, nur ultragesund zu essen. Bratman – guter Name, was? – war früher Koch in einer Kommune, und da haben sich die Makrobiotiker täglich mit den Rohköstlern um die reine Lehre gefetzt.«
    »Ach.«
    »Orthorexie – das ist die Hölle.«
    Mayonnaise tropft aus seinem Brot, während er mit Pathos diagnostiziert. Ich höre weg. Was interessiert mich so ein Medizinergewäsch. Was weiß Lukas schon von der Hölle. Wie in Zeitlupe sehe ich Ashana vor meinem inneren – oder ist es das dritte? – Auge. Die Tantra-Queen, die mich kalt anlächelt und den Muffin fallen lässt. So fühlt es sich also an, ausgestoßen und gedemütigt zu werden. Vegetarisch versagen – die schlimmste Neurose für Neuankömmlinge. Es ist hart und erbarmungslos, so ein Immigrantenschicksal. Scheitern ohne Rückflugticket. Gestrandet wie ein Schiffswrack, während die Einheimischen eine Strandparty feiern.
    Am besten krieche ich mit einer Tasse Yogi-Tee ins Bett. Ich setze den Wasserkessel auf. Durchs halb geöffnete Fenster dringen Gesangfetzen von der Nachbarveranda herüber: ›Shanti, shanti, Krishna, shanti‹. Ich öffne den Kühlschrank und nehme die Milch heraus, schaue sie an und stelle sie wieder zurück. Morgen werde ich Sojamilch kaufen.

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    Heyo, spann den Wagen an
    DAS WASSER IST noch immer warm. Lukas und Baxter trocknen nach dem Surfen in der Sonne. Jakob und Otto lassen Strandkiesel übers Wasser flitschen. Ich blättere im Liegen durch das Kochbuch ›Be bold with Bananas‹ (Trau dich was mit Bananen), herausgegeben von der Vereinigung der Bananenzüchter Australiens im Jahre 1975. Es stammt aus dem gut sortierten Second-Hand-Buchladen in Lyttelton und ist hübsch bebildert, wenn auch thematisch etwas einseitig: Banane mit Würstchen, Bananen-Eiersalat, Bananen-Paella, Bananen-Auflauf. Ich lese den Männern die besten Passagen vor. Was dazu führt, dass Baxter uns wieder kulinarische Schauermärchen auftischt.
    »Ein Porridge-Sandwich«, sagt er und kostet jedes Wort aus, »ist kalter Haferschleim zwischen weichem Toastbrot. Stellt euch das bildlich vor.«
    Er lacht. Lukas schüttelt sich. Otto ruft »Bähh!«. Es klingt wie ein Schaf.
    »Du lügst, Baxter«, sage ich. »Niemals musstest du das essen. Gab es bei euch keinen Kinderschutzbund?«
    Bisher war ich immer neidisch auf die Kindheitserinnerungen unseres Freundes. In Baxters Familienanekdoten wimmelt es nur so von Hütten am Strand, Lagerfeuern aus Treibholz, Traktorfahrten im Sonnenuntergang, zerschlissenen Sofas auf der Ladefläche von Pick-up-Trucks, Hunden, Angeln und barfüßiger Freiheit. Aber wenn er vom Essen erzählt, dann läuft es mir kalt den Rücken runter. Meist kommt eine Mutter vor, die ein Stück vom Tier – in der Regel Schaf – stundenlang bis zur Unkenntlichkeit zerkochte und anschließend einen Kleister darüberkippte, den sie ›weiße Soße‹ nannte. Und immer, immer gab es dazu Erbsen.
    »Wenn’s mal was richtig Besonderes sein sollte, kam Obst ans Fleisch.« Baxter grinst. Es macht ihm einen Heidenspaß. »Mandarinenstückchen aus der Dose. Und wenn es die gerade nicht gab, dann wälzte meine Mum die Hühnchenschenkel in Orangenlimo-Pulver und hat sie in Cornflakes paniert.«
    »China-Schmaus provenzalisch«, murmelt Lukas. Er schläft gleich hinter seiner Sonnenbrille ein. Die Wellen rauschen und lullen uns ein. Aber Baxter ist nicht mehr zu bremsen.
    »Das Allerbeste ist das Popcorn-Hähnchen. Kennt ihr

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