Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
sah ziemlich flott aus. Nena ließ sich für LAX ihren nackten Körper bemalen, was ihren Schwangerschaftsstreifen gut stand. Desirée Nosbusch räkelte sich für den Fotografen lasziv im Hotelbett, Nina Hagen kiffte beim Interview und Peter Maffay entblätterte seine Seele. Für deutsche Verhältnisse war das ziemlich glamourös.
Während im Boulevardjournalismus die Geschichte Gott ist, war bei meinem neuen Arbeitgeber die Optik der Guru. Geschriebenes, vor allem mühsam Recherchiertes, störte eher zwischen all den Fotos von halb nackten Supermodels und gegelten Rockstars. Wenn es nach den LAX -Grafikern gegangen wäre, hätte man auch gerne Blindtext zwischen den Bildern drucken können. Ein langes Interview sah nicht so gut aus wie ein künstlerisch geschossenes Oben-ohne-Bild und wurde daher gerne mal um ein Drittel gekürzt. Es tat jedes Mal weh.
Stars, Designer und Fotografen erwähnte man in den wöchentlichen Redaktionskonferenzen möglichst nur mit Vornamen. Unsere Fotochefin, die bis auf ihre stämmigen Beine als Model hätte durchgehen können, schien mit allen schon mal essen gewesen zu sein. Mindestens. »Also, Steven« – natürlich Meisel – »ruft mich gleich aus New York an, er will auf jeden Fall das Shooting mit Boris machen. Aber dafür müssen wir die Strecke mit Tatjana schieben.« Seufzen, verzweifeltes Montblanc-Füller-Kritzeln, laszives Prada-Blazer-Zurechtrücken. »Das macht Gianni« – Versace lebte damals noch – »auf keinen Fall mit, das hat er mir neulich nach der Schau in Mailand gesagt. Ich rufe ihn gleich in Miami an.« Die Nerven lagen blank. Es war mindestens so spannend wie in der Auslandsredaktion des SPIEGEL zu Beginn des Golfkriegs.
Ziemlich locker war nur unser Chefredakteur. Der hatte sich fürs Mediengeschäft dadurch qualifiziert, dass er ständig zum Thema ›Singles‹ durch die Talkshows tingelte. Die dunklen Haare trug er halblang, an den Fingern steckten breite Platinringe. Er hatte Stil. Seine Ledertaschen und Anzüge waren stets vom Feinsten, genauer, Bestechungsgeschenke von Anzeigenkunden. Überhaupt glich die Redaktion mehr einem Luxusflohmarkt als einer publizistischen Einrichtung. In den Schränken stapelten sich Kosmetik, Bücher, Strumpfhosen, Designer-Sweatshirts und CD s. Wer sich mit der Mode-, Kosmetik- oder Kulturredakteurin gut stellte, hatte für die nächsten Weihnachtsfeste ausgesorgt. Schon allein aus dem Grund der Eigenversorgung galt als höchstes journalistisches Prinzip bei CD : Du darfst über alles schreiben, solange es keinen Anzeigenkunden, Pressesprecher oder Model-Manager stört. In dem Fall darf der Sprecher oder Manager deinen Text umschreiben. CD war halt ein Zeitgeistmagazin, und der Zeitgeist verlangte ungehinderten Konsum.
Leserbefragungen zeigten ein erschütterndes Bild auf. Am intensivsten gelesen wurden nicht die Reportagen, investigativen Recherchen oder langen Interviews, sondern die Seiten mit neuen HiFi-Produkten. Kein Wunder, denn im Schnitt saß der LAX -Leser täglich vier Stunden vor der Glotze. Von unserer Zielgruppe konnte ich mir am besten ein Bild machen, wenn ich in die Kartons schaute, wo all die Fotos von Lesern lagen, die sie uns für die letzte Seite zuschickten. Mit tiefer gelegter Hose vor Comic-Tapete und Gelsenkirchener Barock, die Freundin mit wehendem Haar im Arm irgendwo verwackelt auf Ibiza, oder gerne auch als Steppenwolf im Deppengolf inmitten der Lüneburger Heide. Dazu Sinnsprüche wie »This is the first day of the rest of your life«. Das letzte Wort wurde oft falsch geschrieben.
Irgendjemand aus der Redaktion war immer gerade auf einer Pressereise. Mal wurde eine Ferienanlage auf den Kanaren eingeweiht, mal testete ein Kosmetikkonzern eine neue Wimperntusche in Paris. Die Pressekonferenzen und Interviews dazu waren das Rahmenprogramm, um zu rechtfertigen, dass wir Flug, Essen, Unterkunft und Ausflüge spendiert bekamen. Und ähnlich korrumpierbare Kollegen kennenlernten. ›Pressereise‹ war das Synonym für ›Speed-Dating auf Kosten einer PR -Agentur, als Arbeit getarnt‹. Ärzte kennen das auch, unter dem Namen ›Medizinkongress‹, obwohl Lukas das alles abstreitet.
Jedes Jahr im Oktober produzierten wir einen Jahresrückblick, der im Dezember auf den Markt kam. Er bestand vor allem aus großformatigen Fotos, die ich betexten musste. Peinlich, wenn im letzten Vierteljahr dann doch noch irgendetwas Wichtiges passierte. Was bis dahin wichtig gewesen war, beratschlagten die
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