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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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Köpfe von LAX – also Fotochefin und Beautyexpertin – meist anhand der Anzeigenlage. Absolutes Großereignis: Ein Supermodel (Claudia / Nadja) und ein der Chefredaktion wohlgesinnter Modemacher (Wolfgang / Jil) kreierten einen neuen Duft (›Claudia‹ / ›Nadja‹). Gerne wurde auch vom Creative Director die Weltlage danach beurteilt, welche Fotos gerade gut ins Layout passten. Einmal waren das zwei sich paarende Nashörner. Unser oberster Chef im Hause, in der Lokalpresse gerne als ›junger Turnschuh-Verleger‹ bezeichnet, stand halt auf Tiere. Das musste man berücksichtigen. Als ich die Bildunterschrift zu den nagelnden Nashörnern tippte, war mein Tiefpunkt erreicht. Es war wieder Zeit zu gehen.
    An diesem Morgen steuere ich auf einen neuen Tiefpunkt zu. Meine Heimat springt mir schon beim Frühstück ins Gesicht. Der Auslandsteil ist fest in deutscher Hand. Seite zwei: ›Holocaust-Geschwister vereint‹. Seite drei: ein Foto von drallen Bierzeltmadln, eingedirndelt von ›German fashion designer Verona Pooth‹. Jo mei, wenn die wüssten! 18 000 Kilometer Entfernung können viel ausmachen. Seite vier: eine Anzeige des History Channels auf Sky TV . Adolf Hitler steht in der Küchenschürze an einer Spüle und wäscht ab. Gute Fotomontage. Seite fünf: der Papst. Mein Müsli kleckert auf Big Benedict.
    Jedes Druckwerk, das ich aufschlage, hat irgendwo einen peinlichen oder faschistischen Deutschen versteckt. Ich ertappe mich dabei, wie ich Texte nach dem großen ›G‹ überfliege: Heißt es ›German‹, heißt es nichts Gutes. Ich habe einen Tunnelblick bekommen. Das kann doch kein Zufall sein, dass von Angela Merkel nur Fotos gedruckt werden, auf denen sie besonders griesgrämig dreinschaut? Dabei hat es mich früher keineswegs gestört, wenn dieses Gesicht auf Wahlplakaten mit Filzschreibern verunstaltet wurde.
    Wie dankbar bin ich, wenn die Klischees mal nicht bedient werden. Wenn irgendein Blatt über Germans berichtet, die keine Bergtracht, Papstkutte oder SS -Uniform tragen. Große Freude löste bei mir ein Artikel in einem Nachrichtenmagazin über den Kölner Verleger Benedikt Taschen aus. Der Mann fläzte sich, ganz Kosmopolit, in feinem Tuch im Designersessel und gab kluge Sätze von sich. Er trug noch nicht mal Socken. Solche Bens lob ich mir.
    Das fünfte »German« an diesem Morgen versteckt sich in einem Artikel auf Seite 8. Es geht um einheimische Vögel. Die finden sich fast so oft in den Nachrichten wie Diktatoren und Designer. Diesmal geht es um Kiwis und Kakapos, die einen stärkeren Geruch absondern als ihre europäischen Genossen, weil sie nie natürliche Feinde kannten. Ein Wissenschaftler denkt zu ihrem Schutz über ein Deodorant nach. Eine Wachsprobe aus dem Gefieder ist unterwegs an ein deutsches Labor. Ich registriere mit einem winzigen Anflug von Befriedigung, dass die deutsche Forschung anscheinend olfaktorisch hoch entwickelt ist, und zucke gleichzeitig ein letztes Mal zusammen. ›Deutsche‹ und ›Labor‹: Das weckt doch garantiert wieder bestimmte Assoziationen. Bin ich schizophren oder nur paranoid?
    In meinem Herzen rumort es. Ich werfe die Zeitung in den falschen Recycling-Mülleimer, laufe durchs Haus, vergesse meine Teetasse im Bad und bleibe vor dem Schlafzimmerspiegel stehen. Was ich sehe, sind rostbraune Haare, die zum Friseur müssen, große Augen ohne Schminke, etwas zu ausladende Hüften und ein T-Shirt, auf dem Ottos Nutellafinger Flecken hinterlassen haben. Sieht so gar nicht nach erfolgreicher Auslandskorrespondentin aus. Was andere sehen, ist klar: eine Deutsche. Das ist das erste herausstechende Merkmal an mir. Daran können kein Haarschnitt, keine Wimperntusche und kein frisches T-Shirt etwas ändern.
    Ich weiß, was ich brauche. Musik. Um in Stimmung zu kommen, lege ich die Lassie Singers auf. Jahrelang nicht gehört, die Mädels ohne Dirndl. Die CD muss ich Claude unbedingt brennen. Selbst sie hat sicher noch Bildungslücken. Heimwehlieder aus uralten Zeiten dröhnen durchs Haus, so laut, dass die Kauri-Böden beben und Otto verwundert den Kopf aus seinem Baumhaus steckt.
    »Du sexy Hamburg!«, gröle ich mit der Musik. Sexy? Das glaubt mir doch keiner. Ich krame in meiner Tasche nach der Serviette vom Wildfoods Festival. Dann wähle ich Evas Handynummer. So weit ist es schon gekommen. Ich brauche Gleichgesinnte. Leidensgenossen. Landsleute.
    »Komm doch einfach vorbei«, sagt sie. »Wir sind gerade umgezogen, nach Sumner.«
    Wenn Lyttelton das

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