Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
Vom Netzwerk:
uns mal gehen«, raunt er mir zu. »Das reicht für den Anfang.«
    Unter Applaus und Pfiffen schleppt die Kapelle ihre Blasinstrumente auf die Bühne. Das Publikum kommt langsam in Stimmung. Einige johlen. Vor der Tribüne steht ein Pulk angeschickerter Engländer.
    »Let’s hear some of that Nazi music!«, ruft jemand aus der Truppe.
    Die Band setzt ein, die Tuba trötet. Der Sänger mit der Pickelhaube kann sogar Deutsch:
    »Ein Prosit, ein Prosit, I’m dry, dry, dry.
    Ein Prosit, ein Prosit, I’m bloody well dry.«
    Die jungen Engländer vor der Bühne reichen eine Rolle mit schwarzem Klebeband herum, reißen sich jeder ein kurzes Stück ab und kleben es sich als Bärtchen unter die Nase. Sie haben einen Heidenspaß, wie immer, wenn old Adolf grüßen lässt.
    »Ein Glück, dass keine Dixieland-Band spielt«, sage ich zu Lukas und schiebe mich durch die Menge zum Ausgang. »Sonst müssten sie schwarze Schuhcreme verteilen.«
    Einer der klebebandverzierten Engländer sieht, dass wir gehen.
    »Typisch Deutsche«, ruft er uns hinterher. »Keinen Sinn für Humor!«
    Sein Trinkkumpan prostet mir zu: »Just kidding!«

      [Menü]      
    Schwarzbraun ist die Haselnuss
    NACH DEM ABITUR habe ich zwei Jahre in Los Angeles verbracht. Ich war Volontärin in der Agentur eines Hollywoodkorrespondenten. Nebenbei machten wir eine Wochenzeitung für Deutsche in Kalifornien. Mein Chef war der Chefredakteur, sein Kollege der Verleger, ein Freund der Herausgeber, ich war die Lokalreporterin, und dann gab es noch einen, der die Anzeigen heranschaffte. Rupert Murdoch konnte sich warm anziehen.
    Einmal wurde ich als Vertreterin der ›Neue Presse Los Angeles‹ auf eine Feier des Phoenix Clubs in Anaheim eingeladen. Der Phoenix Club war das Auffangbecken der nach dem Krieg eingewanderten Deutschen. Nicht nur, weil ich gerade mal zwanzig war, kam mir der Verein ausgesprochen gespenstisch vor. Es lag auch an der Sprache. Die Vereinsmitglieder redeten wie Menschen in Filmen aus den Fünfzigerjahren. Ihr Deutsch war auf dem Stand der Zeit stehen geblieben, in der sie ihr Land verlassen hatten. In Golden Bay, bei den Ökoauswanderern aus den Achtzigerjahren, kam mir diese gefriergetrocknete Version meiner Muttersprache wieder unter, auch wenn das Verpackungsdatum ein anderes war. Machen die Batikhemdträger in Takaka und Motueka den Mund auf, dann erinnert das an Lieder von Nena, an »Ey, du, ich bin der Martin« und an gelbe ›Atomkraft? Nein Danke!‹-Buttons. Gegen das Phänomen bin auch ich nicht gefeit. In zwanzig Jahren wird garantiert jemand feststellen: »Anke Richter? Die klingt so nach Westerwelle, Feuchtgebiete und Wirtschaftskrise.«
    Von der Feier des kalifornischen Phoenix Clubs ist mir nicht mehr viel im Gedächtnis geblieben. Aber ich weiß: Der Abend war höchst befremdlich für mich, die ich noch nie in einer Bettenburg am Ballermann genächtigt, ein Schützenfest besucht, an einer Kaffeefahrt teilgenommen oder mich in andere Untiefen von Dunkel- und Durchschnittsdeutschland gestürzt hatte. Dafür war mein Inländerhass stets zu groß gewesen.
    US -Präsident Ronald Reagan hatte kurz zuvor den Soldatenfriedhof in Bitburg besucht und damit einen politischen Eklat ausgelöst, weil dort Angehörige der Waffen-US begraben liegen. Im Phoenix Club in Anaheim servierten sie Bitburger Pils und reagierten auf ihre Weise. »Willst du auch ein Judenbier?«, haute mich jemand gut gelaunt von der Seite an. Ich war heilfroh, dass keiner das Horst-Wessel-Lied anstimmte, und habe mich seitdem von allen deutschtümelnden Veranstaltungen ferngehalten.
    Bis ich ans andere Ende der Welt kam. Jägis Eröffnungsfeier war ein einmaliger Ausrutscher. Das soll er auch bleiben, als Baxter uns nach seinem Surfurlaub in Bali eine E-Mail schickt.
    »Leute, welchen Monat haben wir gerade – warum kommt ihr nicht mit zum Oktoberfest in Lincoln?«, schreibt er. »Die Erstsemestler machen jedes Jahr um die Zeit eine Motto-Party. Ihr wisst ja, die saufen gerne, denn was oben und unten raus kommt, das düngt den Boden.«
    Baxter studiert jetzt nebenbei Holzwirtschaft. Die Universität Lincoln liegt südlich von Christchurch und ist eine Bauernhochschule. Nichts gegen Bauern, und schon gar nicht an der Uni. Da kann der Farmernachwuchs Wollproduktion oder Freizeitmanagement studieren. Vor der Bibliothek in Lincoln steht kein Schirmständer für Regenschirme, sondern eine Kiste für Gummistiefel – zweisprachig in Englisch und Maori

Weitere Kostenlose Bücher