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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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beschriftet. Draußen parken schlammbespritzte Geländewagen. Eine Bildungseinrichtung, an der Ackerkrume klebt.
    Lincoln ist sicher ein schöner Ort, aber wir sagen dankend ab. Baxter leiht sich von Lukas für die Party ein St.-Pauli-T-Shirt. Aus der Zeitung erfahren wir später, was wir verpasst haben. Die rund zweihundert Gäste lieferten sich eine Kostümschlacht, die den Kölner Rosenmontagszug in den Schatten stellte. Das Motto war naheliegend: Kommt als Deutsche verkleidet. Die Oktoberfestbesucher ließen ihre Fantasie entsprechend spielen und warfen sich ins Zeug: mit Hitlerbärtchen, in Uniformen mit Hakenkreuzen, als Nazis aller Couleur. Ein Student, der immerhin SMS -Englisch beherrscht, hatte ›Hitler is my boi‹ auf sein T-Shirt geschrieben. Jemand dachte sich eine Vergasungshotline aus, ›Call 0800-gas-a-Jew‹. Ein anderer Spaßvogel stellte einen SMS -Häftling dar. Er trug ein weißes Laken wie Hui Buh, das Schlossgespenst. Darauf hatte er ein paar künstlerisch arrangierte Davidsterne gesprüht. An den Handgelenken rasselten Ketten. Das kam an. Dass der Holocaust so lustig sein kann!
    Das Fest kam richtig in Schwung, als ein paar Tische zu Bruch gingen. Ein Waschbecken wurde aus der Verankerung gerissen. Im Konzentrationslager hatten sie auch keine ordentlichen Bäder, also war das historisch nur korrekt. Leider gibt es aber auch unter den Studenten in Lincoln humorlose Menschen, die anderen den Spaß verderben und immer alles kontrollieren müssen: Deutsche Spielverderber lassen das Oktoberfest auffliegen. 15 Studenten werden daraufhin für ihre Entgleisungen von der Unileitung bestraft. Baxter, der die Party schon nach einer halben Stunde verließ, findet das etwas übertrieben.
    »Ist es nicht streng genommen faschistisch, wenn man sich nicht verkleiden darf, wie man will?«, fragt er Lukas, als er ihm eine Woche später das St.-Pauli-Trikot in die Hand drückt. Ich bin erleichtert, dass niemand etwas Haken- oder Sternförmiges darauf gesprüht hat. »Und was ist dann mit Cowboys und Indianern? Die wurden auch ausgerottet. Geht das auch nicht mehr?«
    Lukas zerknüllt das Hemd und dreht sich stumm weg. Wenn er keine Lust mehr hat zu diskutieren, muss die Kiwi-Kraut-Verwandlung bereits weit fortgeschritten sein. Ich würde zu gerne wissen, was Haki Waiomio zu diesen oktoberlichen Umtrieben sagt. Der hat als Kind mit seinen Cousins immer Wilder Westen gespielt, hatte Angie mir erzählt. Alle wollten John Wayne sein, aber keiner ein Indianer. Egal, was Haki mir raten würde – ich freue mich, wenn es endlich November wird.
    Die Studenten aus Lincoln müssen als Teil ihrer Strafe die Deutsche Botschaft in Wellington besuchen. Da muss ich in zwei Wochen auch hin, allerdings freiwillig. In der Botschaft gibt es für die Studenten Kaffee und Kuchen, ein paar Broschüren über Land und Leute und den Rat, sich doch bitte zur Weiterbildung die Filme des Goethe-Instituts anzuschauen.
                
    »Komm mich doch im Beehive abholen, wenn du schon mal in der Nähe bist«, sagt Claude am Telefon. »Jonathan ist ein enger Freund von mir und arbeitet dort als Jurist im Kabinett. Ich hänge bei ihm zwei meiner Bilder auf.«
    Das trifft sich gut auf meinem Rechercheausflug in die Hauptstadt. Der Bienenstock ist das Regierungsgebäude in Wellington und würde in Deutschland wohl Baumkuchen heißen, weil er architektonisch so komisch geschichtet ist. In irgendeiner Umfrage hat er als dritthässlichstes Gebäude der Welt abgeschnitten. Das ist wirklich unfair.
    Air New Zealand hat am Flughafen große schwarze Banner hängen und wirbt mit dem Slogan ›Fanatische Sponsoren der All Blacks!‹. Es ist Rugbysaison. Eigentlich ist immer Rugbysaison. Im Flugzeug sitze ich zufällig neben einem Anwalt, der einst mit besagtem Jonathan, dem Freund von Claude, studierte. Das ist in diesem Land, wo jeder den anderen über drei Ecken kennt, nicht weiter verwunderlich. Bemerkenswert ist, dass der Jurist im Sitz neben mir den letzten Feind der Ureinwohner Neuseelands besiegt hat: die Firma Lego.
    Vor 200 Jahren lernte das kämpferische Volk der Maori, dass sich Freundlichkeit und Nachsicht im Umgang mit den Europäern nicht unbedingt auszahlen. Land wurde konfisziert, Krankheiten eingeschleppt, Sprache und Kultur ausgerottet. Wer meint, die Kolonialisierung hätte längst ein Ende, der irrt. In Kinderzimmern auf der ganzen Welt wütet das imperialistische Übel weiter. Im Sortiment von Lego befinden sich

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