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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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alles, was aus Neuseeland kommt. Hast du eine Nummer von deiner Freundin Eva? Dann rede ich mal mit ihr.«
    Die Bäckerei ist nicht mehr wiederzuerkennen. Alles, was seit dem Feuer von ihr übrig blieb, ist das ›Jägi’s‹ neben dem ›Brauhaus‹-Schriftzug überm Eingang. Darunter ist eine blauweiße Markise gespannt. Die Tür steht offen. Deutsche Volksmusik schallt aus dem Laden, ›Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit‹. Ich erspähe ein Regal mit Rotkohlgläsern und ein Hirschgeweih. Auf dem geteerten Vorplatz vor dem Lokal stehen Biertische, in der Ecke ist eine Bühne aufgebaut. Die Bänke sind voller Leute. Viel Jeans und Lederjacken. Eine Frau trägt Dirndl, ein junger Mann ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck ›You feel better with a German Sausage inside you‹. Das gibt’s sicher im Brauhaus zu kaufen, und die Wurst gleich dazu.
    Auch Jägi hat sich verwandelt. Er trägt ein Holzfällerhemd, Krachlederne und ein fesches Halstuch. Aus seinem Goatie ist ein Backenbart geworden. Noch eine Zipfelmütze dazu, und er wäre ein monströser Gartenzwerg. Vor allem lächelt er pausenlos. Er schäumt geradezu über. Vielleicht hat ihm jemand was in die Knödel gemixt. Was immer es ist – es scheint ihm zu bekommen.
    »Willkommen in der guten Stube!«, ruft er über den Tisch zu uns hin. »Hereinspaziert zur Gaudi!«
    Wir winken zaghaft. Er kommt zu uns herum, klopft Lukas auf die Schultern.
    »Na, Doc, hier können wir nächstes Jahr die WM in Südafrika live gucken. Sky WM – alles drin im neuen Laden. Schaut euch um. Dazu gibt’s dann echten Filterkaffee.« Er schmunzelt verschwörerisch.
    Der Geruch von gegrillten Bratwürsten und Zigarettenrauch zieht unter der Markise durch. Eine Kellnerin schleppt Essensteller heran und legt einen Schwung karierte Papierservietten auf die Tische. Die Bänke werden immer voller. Jägi ist schon bei den nächsten Gästen. Plaudert, scherzt, kommandiert die Bedienung herbei. Schlägt sich vor Lachen auf die lederbezogenen Schenkel.
    »Wie die Made im Speck«, stellt Lukas trocken fest.
    Wir bestellen uns ein Bier. Setzen wollen wir uns nicht, das wäre ein zu deutliches Bekenntnis zum Feind. Auf der Bank hinter mir höre ich Rheinhessisch.
    »Um Deutsche Welle zu krigge, brauschst doch kei Decoder«, sagt der Mann mit dem Rücken zu mir, »da brauschst dä Satma Plus Receiver. Dä kost abba zweihunnertdreisisch Dollar.«
    Zu der Frau neben sich: »Gerlinde, schieb ma de Aschebäsche rübber.« Mainz bleibt Mainz.
    Die Brauhausgäste sind international gemischt. Es sind Amerikaner dabei und etliche Engländer. Die Deutschen zählen überwiegend zur B-Liga. Nicht B wie 2. Wahl, sondern B wie Betriebsnudeln. Das sind die, die ihresgleichen suchen, vereinsmeiern und penetrant miteinander deutsch reden, auch wenn jemand daneben steht, der kein Wort versteht. Die A-Kategorie ist das andere Extrem: A wie Abstand. Sie werden ungern als Deutsche geoutet und zucken sofort zusammen, wenn man sie in ihrer Muttersprache anspricht. Sie haben sich angewöhnt, aus Prinzip nur auf Englisch zu antworten, selbst wenn man zu zweit ist. Das lässt sie seltsam zwanghaft erscheinen – als ob sie etwas Offensichtliches verbergen wollen. Der A-Typ ist in Neuseeland überproportional vertreten, aber heute Abend eher unterrepräsentiert.
    Jägi ist inzwischen auf das Podium geklettert. Er zieht den Mikrofonständer heran. Vor der Bühne formiert sich eine Blaskapelle. Die Musiker tragen Militärhosen in Tarnfarben und bunte Hosenträger dazu. Einer hat eine Pickelhaube aus Plastik auf, ein anderer trägt ein T-Shirt, ›The Steinbeckers Bavarian Beer Band‹.
    »Die komme all aus Rangiora«, sagt der Mainzer zu Gerlinde und zeigt auf die Band. »Sind eschte Kiwis.«
    Jörg kündigt ›The Steinbeckers‹ an.
    »Aber vorher muss ich euch einen Witz erzählen«, sagt er auf Englisch. An seiner Aussprache hat er genauso gefeilt wie an der Bierzeltlaune. Das Gemurmel und Gläserklirren an den Tischen ebbt etwas ab.
    »Mein Großvater ist im KZ gestorben.«
    Schlagartig wird es still. Das kann ja heiter werden.
    »Er ist vom Wachturm gefallen.«
    Zaghaftes Lachen hinter uns. Gerlinde und Gatte entspannen sich wieder.
    »Just kidding«, sagt Jörg ins Mikrofon und grinst ins Publikum. »War ein Scherz. Er hat sich dabei nur das Bein gebrochen.«
    Keine Frage, im Osten hat die deutsche Vergangenheitsbewältigung anders funktioniert. Lukas kippt sein Radeberger in einem Zug herunter.
    »Lass

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