Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Tür auf.
»Wir sehen uns bald im Café?«, frage ich.
»Ach, ich höre doch erst mal auf, weil Tine aus München für einen Monat kommt. Ich brauche etwas Zeit für das Kindl.« Sie lächelt bei dem albernen Wort in sich hinein.
Ich muss mehr Sport machen, keine Frage. Da ich nicht im Alter von fünf Jahren aufs Rugbyfeld geschickt wurde oder mit sechs auf meinem ersten Surfbrett stand, habe ich ein echtes Bewegungsdefizit, von meinem Gewicht ganz zu schweigen. Lukas dagegen ist schon wieder surfen. Eine gute Welle hat auf ihn eine ähnliche Wirkung wie auf andere Männer eine heimliche Geliebte. Zum Glück hält sich meine Eifersucht in Grenzen.
Anfangs bin ich noch viel Rennrad gefahren. Jetzt steht es unberührt in der Garage. Aus Angst um mein Leben – und das ist die einzige Entschuldigung, die in diesen Breitengraden zählt – mache ich eine Pause vom Radsport. Mir kamen nämlich die Killerelstern in die Quere. Von wegen Neuseeland habe keine gefährlichen Tiere: Die Elstern stürzen sich auf Babys in Tragerucksäcken, auf Postboten und auf Fahrradfahrer. Sie verfolgen dich aus der Luft und stoßen einen Schrei aus, der wie »quardel ardel dudel« klingt. Wenn sie merken, dass du Angst hast, drehen die Viecher erst richtig auf und zielen mit dem Schnabel direkt auf deinen Kopf. Arme wedeln und schreien bringt nichts. Irgendwann wird es Tote geben. Ich könnte einen leeren Eiscremebehälter aus Plastik als Hutersatz tragen oder mir Pfeifenreiniger als eine Art Afrofrisur in den Helm stecken. Das soll angeblich schützen. Aber bei aller Liebe zum Karneval – so fanatisch bin ich dann doch nicht. Um an die stolzeste Sportnation des Pazifiks anzuknüpfen, bleibt mir nur noch eine Chance: das Bootcamp. Eva kam neulich mit der Idee an.
»Vergiss Yoga«, sagte sie. »Ein Bootcamp kann unser Leben verändern!«
Sie hat alle Broschüren des Fitnessstudios gelesen.
»Du meinst, so wie die abgebrochene Kohlsuppendiät? Und der Entsafter, den ich genau dreimal benutzt habe?«
Sie gibt mir eine kurze Einleitung. Name wie Programm des Bootcamps sind den Ausbildungslagern der amerikanischen Marines entliehen. Das bedeutet: mit Marschgepäck rennen, durch den Schlamm robben und stramm gestanden. Kein Rumgesteppe in rosa Aerobicstretch, sondern knallharter Drill, der einen ins Schwitzen bringt. Morgens früh um sechs im Stadtpark oder am Strand, dreimal die Woche, egal ob’s regnet oder noch dämmert, und am Wochenende geht es raus ins Gelände. Versprochen werden T-Shirt, Rucksack und ›Steigerung des Fitness-Levels ums Doppelte‹ nach nur fünf Wochen. Ich einige mich mit Eva auf eine Probestunde.
Ein leerer Sportplatz am Samstagmorgen. Feuchtes Gras, drei paramilitärische Trainer, vier sportliche Typen und zwei Damen mittleren Alters (also wir), die ab sofort ›Rekruten‹ heißen. Erst müssen wir gerade stehen, dann marschieren.
»Rekruten, ab!« Zwanzig Kniebeugen, rennen, hinwerfen, aufspringen, wieder Kniebeugen. Ich hechele, mein Herz pumpt wie verrückt. Dreißig Sekunden bleiben uns, um Wasser zu fassen.
»Los, schneller!«, bellt der Trainer, einen Daumen in den Bund der Army-Hose gehakt, Finger auf der Stoppuhr. Diesmal zwanzig Liegestütze, fünfmal hintereinander. Ich presse und beiße mir auf die Zähne. Eine Stunde kann unendlich sein. Jetzt bloß nicht die Pazifistin raushängen lassen, sonst wird sie noch länger.
»Ellenbogen nach hinten!«, schreit der Trainer, dessen Bizepsumfang den seines kahlrasierten Kopfes schlägt. Ich warte darauf, dass er mir gleich eine orange Kapuze überstülpt, meine Hände fesselt und Guantánamo Bay mit uns spielt, aber nein: Wir haben’s überlebt.
»Fünf Wochen?«, stöhnt Eva, als es vorbei ist. »Das halte ich nicht durch.« Sie ist blass und schweißnass.
»Komm, nicht schlappmachen. Morgen fühlst du dich topfit.«
Am nächsten Tag stehe ich auf. Das geht noch. Ich will mir die Haare kämmen, aber komme mit den Händen nur bis knapp vors Gesicht. Der Trizeps ist eine einzige verhärtete Krampfzone. Ich bin horizontal dank Extremmuskelkater gelähmt. Zähneputzen, Gabel halten, auf der Tastatur tippen: alles äußerst mühsam bis schmerzhaft. Nach oben greifen, zum Beispiel ins Lebensmittelregal: komplett ausgeschlossen. Meine nächsten Angehörigen, die mich Krüppel pflegen und füttern sollten, haben kein Mitleid.
»Keine Arme, keine Kekse«, sagt Lukas.
Meine Söhne halten die Fernbedienung gerade so hoch, dass ich sie nicht greifen
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