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Was sich kusst das liebt sich

Was sich kusst das liebt sich

Titel: Was sich kusst das liebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manning Sarra
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diese sanften Blicke und Freundlichkeiten… bis er plötzlich beschlossen hatte, an der englischen Fakultät der University of California Los Angeles einen Lehrauftrag für drei Jahre anzunehmen. Als er in die USA aufgebrochen war, hatte es sich für Neve so angefühlt, als hätte er ein Stück ihres Herzens in seinem Koffer mitgenommen. Aber er würde bald zu ihr zurückkommen. Sie las den Brief noch einmal halblaut durch:
    Du stehst ganz oben auf meiner Liste der Leute, die ich unbedingt gleich treffen will, wenn ich nach London zurückkomme. Ist es nicht seltsam, dass wir uns in diesen drei Jahren so viel näher gekommen sind, obwohl ein ganzer Ozean zwischen uns lag? Es gibt so vieles, das ich dir erzählen muss, aber nicht in einem Brief – ich will dich dabei sehen. Du verstellst dich nie, hältst nie deine Emotionen unter Verschluss. Alles, was du denkst und fühlst, spiegelt sich in deinem Gesicht wider, etwa wenn du mich anlächelst oder wenn du dir auf die Unterlippe beißt, weil ich mal wieder Unsinn rede und du es mir nicht sagen willst, um meine Gefühle nicht zu verletzen.
    Ich weiß, ich kann dir alles sagen, ohne Angst haben zu müssen, dass du mich verurteilst. Ich weiß auch, dass du dich verändert hast: Du bist stärker und selbstsicherer geworden. Ich freue mich schon sehr darauf, diese Reinkarnation des Mädchens zu treffen, das du früher einmal warst.
    Neve seufzte. Sie hatte die Nase derart voll von unerwiderter und platonischer Liebe! Und von jeder anderen Art von Liebe, die nicht leidenschaftlich und romantisch war. Liebe, bei der man nicht ohne den anderen leben konnte, bei der man den anderen immer um sich haben wollte, bei der zwei Herzen im Einklang miteinander schlugen. Genauso liebte sie William. In den drei Jahren seiner Abwesenheit war diese Liebe gewachsen, und ihr Feuer loderte heller denn je. Seinem Brief entnahm sie, dass er etwas Neues für sie empfand, das über eine rein intellektuelle Achtung hinausging. Sie konnte sich keinen einzigen Fehler erlauben, wenn er aus LA zurückkam. Alles musste perfekt sein. Sie durfte nichts dem Zufall überlassen. Denn wenn sie erst mit William zusammen war, dann sollte es für die Ewigkeit sein. Was bedeutete, dass die ganze Angelegenheit mit einem ziemlichen Planungsaufwand für Neve einherging. Sie musste eine erfolgreiche Beziehung führen, um Erfahrungen zu sammeln. Sie musste weltgewandter werden und in ein kleines Schwarzes Größe38 passen. Im Moment gab es überhaupt nichts Kleines, in das Neve gepasst hätte.
    Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Natürlich war die gestrige Nacht seltsam und peinlich gewesen, denn sie war noch meilenweit von Größe38 entfernt. Wenn sie erst diese Kleidergröße trug, würde bestimmt alles anders sein. Sie würde anders sein.
    Neve war unfassbar erleichtert über diese Erkenntnis und brach beschwingten Schrittes und mit neuer Entschlossenheit in die Mittagspause auf. Sie spazierte eine Stunde durch Holborn und genehmigte sich lediglich eine Suppe und einen Salat. Die dummen Entscheidungen der letzten Nacht waren zwar nicht vergessen, aber sie würde alles dafür tun, nicht mehr daran zu denken.
    Es gelang ihr auch ganz gut, bis sie wie jeden Tag pünktlich um 13:55 einen Anruf von Celia erhielt– fünf Minuten vor dem Ende ihrer Pause, weshalb Neve meist mit Verspätung ins Souterrain des LLA zurückkehrte, wo sie keinen Telefonempfang hatte, es sei denn, sie kletterte auf das Abtropfbrett neben der Spüle in der Küche, um so nah wie möglich ans Fenster zu gelangen.
    » Hey, Celia«, sagte sie. » Wie geht’s?«
    » Wie geht’s dir?«, lautete Celias Gegenfrage.
    » Gut. Nichts Neues aus der Transkriptionshölle. Vor der Arbeit war ich trainieren. Alles wie immer.«
    » Ich weiß von gestern Nacht«, platzte Celia ohne Umschweife heraus. » Ich kann nicht fassen, dass du so tust, als wäre nichts gewesen.«
    Neve versuchte, die Panik zu ignorieren, die sie prompt überkam. » Was soll denn gewesen sein?«, fragte sie vorsichtig.
    » Das ist deine typische Ausweichtaktik– du beantwortest eine Frage mit einer Gegenfrage. Echt ätzend«, blaffte Celia. Neve hatte nicht gehört, wann Celia und Yuri letzte Nacht zurückgekommen waren, was darauf schließen ließ, dass ihre Schwester zu wenig geschlafen und obendrein einen Kater hatte– eine tödliche Kombination. » Ich weiß von dir und Max! Hab ich dich nicht vor ihm gewarnt?«
    Neve umklammerte die nächstbeste Straßenlaterne,

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